Der Jünger
jemand.
Der Störenfried brachte ihn nicht aus der Fassung. Er sprach nur noch ein bisschen lauter.
Gebannt starrte Jay auf den Straßenprediger. Er hatte Bruder John schon mehrere Monate im Visier und war sich sicher, dass er eine wichtige Rolle auf seinem Weg ins Himmelreich spielen würde. Alles ergab sich so perfekt – als würde der Herr selbst jeden seiner Schritte lenken.
Als Bruder John die Stimme hob, trat Jay etwas näher an ihn heran. Die Leidenschaft in seiner Stimme und seinem Blick zog ihn an. Das war Inbrunst. Das kannte er gut. Schließlich brannte sie auch in ihm.
Als Jay so weit zu ihm vorgedrungen war, dass er die hervortretenden blauen Venen auf dem Handrücken des Priesters erkennen konnte, hob er den Kopf.
Bruder John blickte ihn an und begann zu stottern. Plötzlich war sie wieder da, seine alte Angst, die ihn in Vietnam vier Jahre lang verfolgt hatte. Doch schnell schüttelte er diesen dummen Gedanken von sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Mann vor ihm.
“Willkommen, Bruder”, sagte er.
Jay lächelte.
Bruder Johns Magen zog sich zusammen. Instinktiv wusste er, dass in diesem Moment das Böse vor ihm stand.
“Wer bist du?”, flüsterte er.
Jay Carpenter streckte ihm die Hand entgegen. “Ich bin der, auf den du gewartet hast.”
Rick Meeks meckerte in einer Tour darüber, dass sie sich mitten in der Nacht um einen neuen Mordfall kümmern mussten. Ben dagegen fand, dass es eher dem Opfer zugestanden hätte, sich zu beschweren. Ein Mord war die eine Sache – aber eine Enthauptung hatte einen bewusst rituellen Charakter, und genau das verursachte Ben Kopfschmerzen.
Er kniete sich neben Fran Morrow und wartete darauf, dass sie eintütete, was immer sie auch an der Stirn des Toten gefunden hatte. Die Gerichtsmedizinerin war knapp sechzig, ein bisschen hager und besaß einen leicht makabren Humor. Aber sie war auch eine der besten Untersuchungsbeamtinnen der Stadt.
“Hallo Fran, was meinst du, seit wann ist er tot?”
“Seit ihm jemand den Kopf abgeschlagen hat”, antwortete sie schnippisch.
Er versuchte es also anders. “Und wann, glaubst du, ist das passiert?”
“Wenn ich raten müsste, was ich nicht tue, wie du verdammt gut weißt, würde ich sagen, so vor zwei, drei Stunden.”
Er kritzelte ein paar Notizen in seinen Block. “Kannst du mir irgendwas zur Mordwaffe sagen?”
“Scharf war sie.”
Ben richtete sich abrupt auf. “Komm schon, Fran. Ich bin genauso ungern hier draußen wie du, aber ich brauche ein paar Anhaltspunkte.”
Sie stand ebenfalls auf und wandte sich an einen der anderen Untersuchungsbeamten. “Packen Sie ihn ein”, ordnete sie an, dann drehte sie sich wieder zu Ben um. “Ich schicke dir einen vollständigen Bericht, sobald ich mehr weiß.”
“Danke.” Ben kehrte zur Absperrung zurück, wo sein Partner einen Zeugen befragte. In diesem Moment fuhr das erste Fernsehteam vor.
“Ausgerechnet”, murmelte er und fluchte leise, als er sah, dass January DeLena aus dem Auto stieg. “Verdammter Mist. Die hat mir gerade noch gefehlt.”
Meeks blickte ihn an. “Was ist los?”
“Die Reporter sind hier.”
“Fang du sie ab, ich stecke mitten in der Befragung.”
Ben musterte den Betrunkenen, der die Leiche gefunden hatte. Er weinte immer noch. Kopfschüttelnd wandte er sich genau in dem Moment um, als January unter dem Absperrband durchschlüpfte und auf ihn zulief. Seit ihrem Kuss hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Und jetzt war nicht der beste Zeitpunkt, um ihre Bekanntschaft zu vertiefen.
Als sie ihn erreichte, packte er sie sofort am Ellbogen und führte sie wieder aus dem Sperrgebiet heraus, während er den Kameramann mit knappen, aber unmissverständlichen Anweisungen zum Auto zurückschickte.
“Kommen Sie, Miss DeLena, Sie wissen ganz genau, dass Sie hier nicht rein dürfen.”
January gingen die Worte durch den Kopf, die sie sich zurechtgelegt hatte, aber mit Benjamin North so dicht vor sich blieben sie ihr einfach im Hals stecken. Seit er ihren Arm umfasst hatte, war sie vollends durcheinander.
“Die Öffentlichkeit erlaubt … Ich meine, es ist die Arbeit von … Verdammt!”
Sie fühlte, wie sie errötete, und hoffte, dass es dunkel genug war, damit der “Super-Detective” es nicht bemerkte.
Ben amüsierte sich über Januarys Verlegenheit. Es war das erste Mal, dass “Miss Überwältigend” keine Worte fand.
Er grinste.
January funkelte ihn wütend an. “Seit wann ist Mord etwas Komisches?”,
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