Der Jünger
gesehen hatte. Stunden später war sie immer noch wach und ging ihre Notizen durch. Sie versuchte, in diesem Drama einen Sinn zu erkennen.
January machte diesen Job lange genug, um zu wissen, dass es da draußen jede Menge seltsame Käuze und überdrehte Fanatiker gab, die Stimmen gehorchten, die nur sie hörten. Die meisten von ihnen schadeten dabei niemandem außer sich selbst. Doch so sehr sie auch glauben wollte, dass der Mann, der sich “der Sünder” nannte, ebenfalls zu dieser Sorte gehörte, es gelang ihr einfach nicht.
January hatte ihre Notizen auf dem Esstisch ausgebreitet, von den ersten Vorfällen, von denen sie erfahren hatte, bis zum letzten, der Enthauptung Bruder Johns. Egal wie oft sie sich auch sagte, dass die verschiedenen Fälle nichts miteinander zu tun hatten, es nutzte nichts, sie wurde ihren Verdacht nicht los.
Der Morgen dämmerte bereits, als sie ihre Blätter zusammenpackte. Ihre Hände zitterten und ihre Augen waren gerötet vor Erschöpfung und Müdigkeit. Heute hatte sie ihren freien Tag. Normalerweise nutzte sie die Zeit für persönliche Besorgungen. Doch an diesem Tag würde sie einfach in ihr Bett kriechen, die Decke über die Nase ziehen und hoffen, dass sie ungestört schlafen konnte.
Wenig später lag sie im Bett. Die Vorhänge waren geschlossen und der Telefonstecker aus der Wand gezogen. Doch so kaputt sie auch war, sie wurde das Gefühl nicht los, dass schon sehr bald etwas Schreckliches passieren würde.
3. KAPITEL
S eine ersten Jünger fand Jay leichter als erwartet. In dem Obdachlosenheim, in dem er sich manchmal etwas zu essen holte, hatte er bereits Simon Peters kennengelernt. Allerdings war es fast zu leicht gewesen, ihn zu überzeugen.
Simon Peters war ein Mann ohne Ziele. Einem Straßenprediger zu folgen und Lesezeichen mit Bibelversen zu verteilen, half ihm dabei, die Zeit totzuschlagen. Als der Priester noch zwei weitere Jünger in seine Herde aufnahm, fühlte sich Simon Peters beinahe wie auf einer Party.
Ein hochgewachsener Schwarzer namens Andy, den der Priester Andreas nannte, und Andys Freund Jim, dem der Priester den Namen Jakob gab, wurden schon bald Simon Peters' Kumpane.
In dem alten gelben Taxi fuhren sie mit dem Priester von einem Ort zum anderen, aßen Hamburger, Hot Dogs und senkten gemeinsam den Kopf, wenn er zu predigen anfing. Eine Weile waren alle glücklich, doch es dauerte nicht lange, bis die Harmonie dieser Flitterwochen ein Ende fand.
Gemeinsam suchten sie Schutz unter einer Markise, während der Regen herunterprasselte. Wasser spritzte ihre Hosenbeine nass und ließ sie erbärmlich frieren. Die drei Männer wollten nur noch zur Unterkunft der Barmherzigen Schwestern, eine Schüssel Suppe in Empfang nehmen und vielleicht ein wenig Schach spielen.
Die Zeit mit dem Priester war nicht schlecht, okay, und er hatte ihnen auch etwas Gutes zu essen gegeben. Aber es gab Tage, da wollte lieber jeder für sich sein. Und für Simon Peters war das heute so ein Tag.
Nachdem er sich gesträubt hatte, Jays Vorschlag blind zu folgen, waren auch Andy und Jim seinem Beispiel gefolgt.
Jay konnte es nicht glauben. Er hatte den Tag genau durchgeplant. Dass nun gleich alle drei Jünger rebellierten, empfand er als den größten Verrat.
“Was soll das denn heißen, ihr wollt nicht mitkommen? Das haben wir doch so verabredet. Wir fahren nach Virginia, um …”
Simon Peters zeigte auf den Regen. “Hör mal, Priester, es ist kalt und nass, und um ganz ehrlich zu sein, sind mir die verlorenen Seelen heute ziemlich egal. Ich hab keine Lust, übermäßig freundlich zu sein. Ich werde mich morgen vielleicht wieder anschließen. Aber heute will ich einfach nur eine Schüssel Suppe.” Er zitterte. “Ich hab das Gefühl, ich brüte was aus.”
Jay starrte sie wütend an, aber er konnte nichts tun. Es war unmöglich, gleich drei Männer zu etwas zu zwingen, wogegen sie sich wehrten.
“Sehr gut”, murrte er. “Nach allem, was ich für euch getan habe.”
Jim hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber er würde nicht ohne die anderen mitgehen. “Morgen kommen wir ganz bestimmt wieder mit, in Ordnung? Wenn du morgen hierher kommst, warten wir auf dich.”
Jay drehte sich um, lief zu seinem Taxi und stieg ein. Er fühlte sich betrogen und hintergangen. Am liebsten hätte er geschrien. Doch als er vor dem Steuer saß, begann er nachzudenken – und schmiedete neue Pläne.
Er würde schon noch dafür sorgen, dass sie bei ihm blieben. So einfach ließ er
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