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Der Jünger

Der Jünger

Titel: Der Jünger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Sala
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Tageslicht erlosch langsam und verlieh dem verlassenen Lagerhaus etwas Bedrohliches. Er umrundete staubige Holzpaletten und zerbrochene Boxen, die überall herumlagen. Jedes Mal, wenn er eine Ratte aufscheuchte, zuckte er zusammen.
    Plötzlich flog ein Schwarm Tauben unter dem Dachbalken auf. In der Mitte des Lagerhauses angelangt, konnte er bereits Stimmen hören. Der Klang erwärmte sein Herz. Die treuen Jünger warteten auf seine Rückkehr. Er klemmte sich die Tüte mit Lebensmitteln in die Armbeuge und lief schneller. Als er die erste Tür aufgeschlossen hatte, schlug ihm der Gestank von Fäkalien entgegen. Es folgten wilde Hasstiraden, die der große Mann ausstieß, der an der gegenüberliegenden Wand angekettet war.
    Es handelte sich um Simon Peters. Er trug noch immer die gleiche Kleidung, in der Jay ihn vor einer Woche entführt hatte. Dort, wo ihn die Eisenketten einschnürten, waren Simons Handgelenke mittlerweile wund gerieben. Der Schmerz machte ihn nur noch wütender.
    “Da bist du ja, du elender Scheißkerl. Ich bin hier fast am Verdursten, ganz zu schweigen davon, dass mir der Magen in den Kniekehlen hängt und dieser Pisspott hier am Überlaufen ist.”
    Jay atmete langsam durch und zählte in Gedanken bis zehn, um sich nicht von Simon provozieren zu lassen. Der Mann war ständig am Zetern.
    “Guten Abend, mein lieber Simon, ich vertraue darauf …”
    “Ich bin nicht dein Lieber, du verrückter Hurensohn. Lass mich endlich frei.”
    “Aber Simon, darüber haben wir doch bereits gesprochen. Du weißt, dass das nicht möglich ist. Du würdest nicht freiwillig bei mir bleiben, und es gibt noch so viel Arbeit, die wir erledigen müssen.”
    “Arbeit? Arbeit! Was für eine Arbeit soll das denn sein, die ich hier angekettet in diesem Scheißloch erledigen sollte?”
    Jay seufzte. “Simon, Simon … Du weißt, es ist deine eigene Schuld. Wenn du dich besser benommen hättest, dann wärst du jetzt draußen auf der Straße und könntest wie ich Gottes Wort predigen.”
    Die innere Zerrissenheit spiegelte sich in Simon Peters Gesicht wider: Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Seine eigene Schuld? Sich besser benehmen? Dieser Typ, der sich “der Sünder” nannte, war wahnsinnig.
    “Du hast recht”, sagte Simon plötzlich. “Sünder, ich bitte um Vergebung.”
    Jay strahlte und hob die Hand über Simons Kopf, schloss die Augen und begann zu beten.
    “Vater, vergib diesem Mann seine Fehler und schenke ihm Weisheit und Wissen, sodass er mir auf dem Weg zur himmlischen Herrlichkeit folgen möge.”
    Simons Wut wandelte sich in Frustration, und er bekam Angst. “O Gott”, bettelte er. “Ich will nicht zur himmlischen Herrlichkeit, sondern nur raus hier.”
    Jay runzelte die Stirn. “Bald, mein Sohn, bald.” Dann holte er eine Büchse Würstchen heraus, dazu eine kleine Packung Cracker und eine Orange und stellte alles zusammen mit einer Flasche Wasser auf einen Tisch in seiner Nähe.
    “Vergiss nicht, das Essen zu segnen, bevor du es zu dir nimmst”, mahnte er.
    “Ich komme nicht an den Tisch ran”, wimmerte Simon, dem jetzt Tränen über die Wangen liefen.
    Jay schob den Tisch in die Reichweite des Angeketteten, warf einen Blick auf die überfüllte Toilette und seufzte. Er öffnete den Deckel des mitgebrachten Eimers, schüttete eine großzügige Menge Löschkalk auf den Inhalt und bekreuzigte sich, bevor er den Raum verließ. Dann schloss er die Tür wieder hinter sich ab.
    Im nächsten Raum begegnete ihm vollkommene Stille. Dies war der Jünger, den er zuletzt zu sich geholt hatte. Er war von Anfang an so ruhig gewesen. An die Wand gekettet lag er wie ein Fötus zusammengerollt auf dem Boden. Das Essen stand noch unberührt auf dem gleichen Fleck wie gestern. Abgesehen von den Bissen, die die Ratten offensichtlich abgenagt hatten. Plötzlich bekam Jay Angst, dass er tot sein könnte.
    “Matthäus … Mein Sohn … Fehlt dir etwas?”
    Matthew Farmer drückte sich dichter gegen die Wand und verschränkte die Arme vor dem Kopf. Er war am ganzen Körper mit Exkrementen beschmiert und von Urin durchnässt. Wunde Stellen glänzten dort, wo er sich seine Haare büschelweise herausgerissen hatte.
    Jay runzelte die Stirn. “Matthäus … Sag etwas.”
    Schweigen.
    “Bete mit mir, mein Sohn … Auf dass der Vater im Himmel unsere Wunden heile.”
    “Matthew Farmer, Fliegeroffizier, Nummer 7-9-9-4-4-2-0-1-3. Matthew Farmer, Fliegeroffizier, Nummer 7-9-9-4-4-2-0-1-3. Matthew Farmer

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