Der Jünger
…”
“Sei ruhig!”, schrie Jay. Doch er bereute seinen Ausbruch sofort, als der angekettete Mann sich in die Hosen machte und zu weinen anfing.
“Tu mir nichts … Bitte, tu mir nichts.”
Jay seufzte. “Ich habe nicht die Absicht, dir etwas anzutun, aber du wirst dich zusammenreißen müssen und deine Aufgabe erfüllen.”
“Lass mich frei … Lass mich frei … Matthew Farmer, Fliegeroffizier, Nummer 7-9-9-4-4-2-0-1-3. Matthew …”
Jay erhob sich, schob das alte Essen beiseite und ließ die neue Mahlzeit und das Wasser so stehen, dass Matthew es erreichen konnte. Da der Mann die transportable Toilette nicht benutzt hatte, war es nicht notwendig, seinen kleinen Plastikeimer zu öffnen. So sprach er schnell ein Gebet und überließ ihn seinem Leiden. Die Beziehung jedes Jüngers zu Gott war seine Privatangelegenheit. Da durfte Jay sich nicht einmischen. Offensichtlich litt Matthäus unter seelischen Qualen. Und er schien nicht zu wissen, wie er sie lindern und seinen eigenen Weg finden sollte.
Jay war sich inzwischen selbst nicht mehr sicher, ob er bei diesem Jünger die richtige Wahl getroffen hatte. Dieser Mann trug offensichtlich ein unbewältigtes Kriegserlebnis mit sich herum und – was noch schlimmer war – er verstand die Bedeutung der Aufgabe nicht, die ihm auf dem Weg des Sünders zukam. Doch die Würfel waren gefallen und die ersten Jünger auserwählt. Nachdem Jay auch diese Zelle wieder verschlossen hatte, konnte er immer noch hören, wie Matthäus seinen Namen, Militärrang und die Identifikationsnummer wiederholte.
Einen Augenblick blieb er stehen und blickte zur Decke hoch auf das nackte Gerüst aus Eisen und Stahl. Dann schweifte sein Blick auf die Reihe von Türen, die vor ihm lag. Insgesamt gab es fünfzehn davon, doch Jay benötigte lediglich zwölf – zusätzlich zu seinem eigenen Raum.
Die Aussicht, dass ihm noch acht Jünger fehlten, um die Gemeinschaft zu vervollständigen, setzte Jay unter enormen Druck. Er tat, was Gott ihm befohlen hatte, aber er war sich nicht sicher, ob er dieser Mission auch gewachsen war. Er rieb sich die Schläfe in der Hoffnung, den Schmerz dadurch etwas erträglicher zu machen. Aber auch diese Massage brachte keine Linderung.
Er tröstete sich damit, dass er ja den Besuch bei Andreas und Johannes noch vor sich hatte – und Andreas war sein Fels in der Brandung. Jay schloss die dritte Tür auf und betrat einen der dunkelsten Räume. Nur hoch oben in der Wand befand sich ein winziges verschmutztes Fenster. Im ersten Moment sah das Zimmer verlassen aus, doch als Jays Augen sich an das schummrige Licht gewöhnt hatten, sah er eine Bewegung.
“Andreas … Mein geliebter Andreas. Wie ist es dir inzwischen ergangen?”
Der große dunkelhäutige Mann tauchte aus der Dunkelheit auf. Er hatte eine Glatze und einen nackten Oberkörper. Sein T-Shirt hatte er sich wie einen Turban um den Kopf gewickelt. Die Schuhe trug er an den Händen. Seine Füße dagegen waren nackt.
Als er Jay bemerkte, verzog er die Lippen zu einem albernen Grinsen. Ein Speichelfaden tropfte ihm aus einem Mundwinkel heraus, als er auf die Tüte deutete, die Jay mitgebracht hatte.
“Andy hat Hunger.”
Jay seufzte. Die geistige Zurückgebliebenheit von Andreas war ihm nicht gleich aufgefallen, als er seine ersten Jünger um sich versammelt hatte. Doch er vertraute darauf, dass Gott seine Wahl gutheißen und auch Andreas bald seinen Platz in dieser Gruppe einnehmen würde.
“Ich habe dir etwas zu essen und Wasser mitgebracht.”
Als er die Lebensmittel auf dem Tisch verteilte, fiel ihm auf, dass die Campingtoilette umgekippt und der Inhalt ausgelaufen war. Ratten krochen darin herum wie Ameisen im Picknickkorb. Jay musste ein Würgen unterdrücken, als er den Topf mit der Schuhspitze wieder aufstellte und seinen Löschkalk darüber verteilte.
“Daddy …”
Jay blickte auf. Er hatte Andreas gebeten, ihn “Bruder” zu nennen, doch irgendwie wollte er das nicht begreifen. Stattdessen kam er immer wieder mit “Daddy”.
“Andy ist durstig.”
Sofort reichte Jay ihm eine Flasche Wasser. Er lud die Fleischkonserven, die Orange und die Cracker auf dem Tisch ab und ging. Vor der Tür konnte er noch hören, wie Andreas sich lachend und brabbelnd über den Proviant hermachte.
Schließlich betrat Jay die Unterkunft von Johannes, seinem vorerst letzten Jünger.
James tat, als würde er schlafen. In Wirklichkeit beobachtete er aber jede von Jays Bewegungen.
“Johannes, ich
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