Der Jünger
entfernte ihn weiter von seiner Familie und brachte ihn seinem Untergang näher.
Heute Abend, als das Gewitter aufkam, hatte er unter einer Straßenüberführung zusammen mit mindestens zwei Dutzend anderen, die sich in der gleichen Situation befanden, Unterschlupf gesucht. Normalerweise nahmen diese Leute, wenn sie sich auf der Straße begegneten, nie voneinander Notiz. Selbst jetzt, wo sie gezwungenermaßen zusammenhockten, redeten sie nicht viel miteinander. Das Schweigen zwischen ihnen war so unheimlich, dass alle aufblickten, als das Taxi unter der Unterführung parkte. Auch die, die schon weggedämmert und eingeschlafen waren, wurden wieder wach.
Jay sah ihre Gesichter. Alle Hoffnung war daraus verschwunden. Es erfreute sein Herz, dass er helfen konnte. Er würde ihnen Hoffnung bringen. Das Wort Gottes war immer eine gute Medizin für die Verzweifelten.
“Guten Abend, meine Brüder und Schwestern”, rief er, als er aus dem Auto stieg.
Niemand antwortete, obwohl ein paar nickten.
Er öffnete den Kofferraum, holte einen Stapel Decken heraus, legte sie auf den Boden und ging wieder zum Taxi zurück. Als er die Kiste mit den Konserven aus dem Auto geholt hatte, waren die Decken verschwunden.
“Es ist nicht viel, aber es sättigt”, erklärte er, während er die kleinen Büchsen mit Wiener Würstchen und eingekochtem Fleisch verteilte. Dann reichte er einer mageren, verwahrlosten Frau undefinierbaren Alters zwei Packungen mit Crackern. “Würden Sie mir helfen, die als Beilage zum Fleisch an alle zu verteilen?”
Sie musterte ihn verstohlen, als befürchtete sie, dass von ihr eine Gegenleistung für das Privileg erwartet wurde, Essen auszuteilen. Doch als er nichts weiter verlangte als den Gefallen, um den er sie gerade gebeten hatte, ging sie herum und gab den Leuten die Cracker.
Kaum begannen die Versammelten zu essen, da änderte sich die Stimmung unter ihnen. Das war Jay klar gewesen. Ein voller Magen wirkte bei Depressionen Wunder. Und wenn er den Leuten etwas gab, was sie benötigten, ohne etwas dafür zurückhaben zu wollen, machte es sie empfänglicher dafür, den Worten eines Fremden zuzuhören. Sobald alle versorgt waren, hob er die Arme und stellte sich in ihre Mitte.
“Nehmt und esst und seid gesegnet mit der Liebe des Herrn”, begann er. “Jene von euch, die bereits glauben, sind gesegnet. Für die anderen, die Gott nicht kennen oder seine Existenz anzweifeln, stehe ich hier, um euch zu sagen, dass der Herr wahrhaftig ist.”
“Ja, ja!”, rief einer aus der Gruppe ihm zu. “Woher willst du das wissen? Hat er dir eine Weihnachtskarte oder so was geschickt?”
Jay deutete mit dem Finger nach oben. “Ich weiß, dass er wahrhaftig ist, denn ich bin bereits einmal gestorben. Doch ich bin zurückgekehrt.”
Einen Moment herrschte ungläubiges Schweigen, dann siegte die Neugier.
“Wie war das?”, erkundigte sich jemand. “Wie sieht es aus im Himmel?”
“Das weiß ich nicht”, entgegnete Jay. “Ich weiß es nicht, denn als ich starb, kam ich nicht in den Himmel. Ich war in der Hölle. Ich fühlte die Hitze, roch den Gestank des Bösen und der Verzweiflung, hörte das Jammern der verlorenen Seelen, und ich hörte die Stimme von Satan.”
Selbst über das Hämmern des Regens hinweg, der auf den Boden prasselte, war zu hören, wie einige von ihnen erschrocken nach Luft schnappten. Dann redete Jay behutsam weiter. Er zog alle Blicke auf sich, mit seinem langen Haar, dem zerzausten Bart und seiner nassen Kleidung, die ihm der Wind an den Körper klebte. Sein wachsender Gehirntumor hatte ihm das Leiden ins Gesicht gezeichnet. Es gab ihm eine asketische, überirdische Erscheinung, die in den Augen der anderen von seiner vergeistigten Frömmigkeit zeugte.
“Wenn ich wieder sterbe – und das wird eines Tages passieren –, wenn ich wieder sterbe, will ich nicht zurück an diesen Ort gehen. Deshalb bin ich jetzt hier draußen und predige euch von der Gefahr des Unglaubens und des Sündigens. Wollt ihr mit mir beten? Wollt ihr eure Sünden jetzt, sofort, vor Gott beichten und wiedergeboren werden?”
Mehrere Zuhörer kamen näher, ergriffen von der Emotionalität des Augenblicks und ihrer Angst davor, das Gleiche durchmachen zu müssen wie der Straßenprediger. Das Leben hier auf der Erde war hart genug. Nach dem Tod in die Hölle zu kommen, schien unerträglich.
Jay begann zu beten und legte jedem, der zu ihm kam, die Hand auf den Kopf. Dann führte er sie von dem Dach der
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