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Der Jünger

Der Jünger

Titel: Der Jünger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Sala
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Überführung hinaus in den Regen, den er die Tränen des Himmels nannte, um sie darin zu baden, während er ihnen versicherte, dass sie nun für immer in der Hand Gottes bleiben würden. Das war sicher nicht die biblische Wahrheit, doch es klang gut. Und als die Erlösten vortraten, einer nach dem anderen, fragte Jay, wie sie hießen, und taufte sie im Namen Gottes. Während der Zeremonie tauchte ein großer, hagerer Mann mit einem länglichen, traurigen Gesicht in Jays Blickfeld auf.
    Jay zog ihn zu sich heran, murmelte ein Gebet und legte ihm die Hand auf den Kopf.
    “Und wie ist dein Name, mein Sohn?”, fragte er ihn.
    “Phillip Benton.”
    Jays Herz setzte einen Schlag aus. Phillip. Gott hatte ihn zu Philippus gebracht. Nun musste er Philippus nur noch seiner Bestimmung zuführen.
    Nachdem er ihn getauft hatte, tätschelte Jay Phillips Schulter und nahm ihn zur Seite.
    “Trotz der Kälte des Regens fühlt sich deine Haut ungewöhnlich heiß an. Bist du krank?”
    Phillip dachte sich nichts bei dieser Frage. Schließlich war dieser Mann ein Priester, und da, wo Phillip herkam, war das eine hohe Auszeichnung.
    “Ja, Sir, ich glaube schon”, sagte er. “Habe mich wohl ein bisschen erkältet.”
    “Phillip, warum ruhst du dich nicht eine Weile auf dem Rücksitz meines Wagens aus? Ich werde noch eine Weile hier bleiben. Du kannst dich solange vor dem Regen und der Kälte schützen.”
    “Ach, ich … denke, ich …”
    “Nein, nein, ich bestehe darauf”, sagte Jay.
    Phillip brauchte keine zweite Aufforderung. Der Gedanke, sich auf etwas weich Gepolstertem auszuruhen, war zu verführerisch, um es abzulehnen. Er bedankte sich und ging zum Taxi, während Jay seine Arbeit weiterführte.
    Die Zeit verstrich. Das Gewitter hatte noch nicht nachgelassen, aber die Lebensmittel waren alle. Jeder kroch zurück in seine Kiste und wandte dem Regen und dem Mann, der ihnen eine kurze Verschnaufpause in ihrem Kummer gebracht hatte, den Rücken zu. Niemand kannte Phillip Benton, deshalb vermisste ihn auch kein Mensch, als das Taxi wegfuhr.
    Phillip hatte geschlafen, als Jay in den Wagen gestiegen war. Es war ein Leichtes, die Trennscheibe zwischen Fahrer- und Rücksitz hochzufahren und auf den Knopf zu drücken, der den Äther ausströmen ließ. Phillip richtete sich nicht auf, als das Gas seine Lungen füllte und seine Sinne benebelte. Er würde erst am nächsten Morgen wieder zu sich kommen, und bis dahin würde er bereits an die Wand des alten Hochofens angekettet liegen, neben einem Mann, der sich wie besessen sein eigenes Haar in Büscheln ausriss.
    Walter Lazarus, pensionierter Juwelier aus New York City, war auf Drängen seiner Frau nach D.C. gezogen, um näher bei den Kindern zu sein. Sie hatten ein wunderschönes Stadthaus nur Minuten entfernt von ihrem Sohn und seiner Familie gefunden, und weniger als eine halbe Stunde von ihrer Tochter und deren Familie entfernt. Für das ältere Paar war es das perfekte Leben.
    Es dauerte sechs Jahre, dann wurde Walter krank.
    Er hatte gar nicht gewusst, dass etwas nicht mit ihm stimmte, bis er auf dem Golfplatz ohnmächtig geworden war. Als die Testergebnisse aus dem Labor kamen, hatte er bereits Blut im Stuhl. Da brauchte er keinen Arzt, der ihm sagte, dass er sterben würde. Walter konnte sich damit arrangieren. Er war siebenundachtzig und hatte sein Leben in vollen Zügen genossen. Das Einzige, was ihm leid tat, war, dass er seine geliebte Etta zurücklassen musste.
    Wie es oft geschah, hatte der Krebs sein eigenes Tempo. Drei Wochen nach seinem Kollaps war Walter tot.
    Etta und die Familie weinten und klagten und richteten ihm die beste Trauerfeier aus, die sie sich leisten konnten, beerdigten ihn im teuersten Sarg mit einer Menge Blumen, die ein halbes Fußballfeld hätten bedecken können.
    Etta war nach Hause gegangen, um sich zusammen mit den Dutzenden von Trauernden von dem Toten zu verabschieden. Sie waren gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, und erwarteten, eine Mahlzeit aufgetischt zu bekommen. Ein merkwürdiger Brauch – diese Erwartung, große Mengen von Essen zu vertilgen, während sich Etta allein schon bei dem Gedanken an einen einzigen Bissen der Magen umdrehte. Doch Walter hätte das Gleiche für sie getan, also tat sie, was zu tun war, und bemühte sich, nicht an ihren geliebten Mann zu denken, der nun zwei Meter unter der Erde lag.
    Jays Blick fiel zufällig auf die Todesanzeige, als er gerade sein Taxi sauber machte. Er konnte nicht glauben, was

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