Der Jünger
geliefert.
Er wartete, bis das Geschäft gut gefüllt war, dann ging er hinein und suchte sich die Verkäuferin aus, die am meisten zu tun hatte. Sie notierte die Bestellung, während sie nebenbei telefonierte. Auf diese Weise sah sie ihm kaum ins Gesicht, als er ihr das Geld in die Hand drückte. Die Karte, auf der die Lieferadresse stand, klemmte sie einfach an die Bestellung, ohne noch einmal aufzusehen. Noch vor fünf Uhr würden die Blumen heute geliefert werden. Noch vor fünf Uhr hätte er seinen Thaddäus.
Jay rechnete sich aus, dass er bis zur Ankunft der Lieferung noch mindestens zwei Stunden Zeit hatte. Genug Zeit, um kurz noch etwas einzukaufen. Heute Abend wollte er mit seinen Jüngern beten. Und damit sie ruhig blieben, während er predigte, musste er dafür sorgen, dass sie etwas zum Kauen bekamen. In der letzten Zeit hatten sie ihm so harte Worte an den Kopf geworfen, dass seine Zweifel wuchsen. Er konnte es sich nicht leisten, an sich zu zweifeln – nicht jetzt, wo es schon so spät war. Also fuhr er in den nächsten Supermarkt, um wieder das Übliche zu besorgen – Fleischkonserven, Cracker und Wasserflaschen. Als kleines Extra gönnte er seinen Jüngern noch zwei Tüten mit Weintrauben. Er lächelte vor sich hin, als er zur Kasse ging. Sie würden sich über diese Abwechslung sicher freuen.
Als er sich hinter das Lenkrad setzte, begann sich das dumpfe Hämmern hinter seinem Auge, an das er sich bereits gewöhnt hatte, explosionsartig auszubreiten. Der Schmerz war so heftig, dass Jay wieder aus dem Wagen herausrutschte und auf allen Vieren auf dem Boden landete. Bevor er sich aufrappeln konnte, musste er sich übergeben.
“He, Mister, fehlt Ihnen was?”, erkundigte sich ein Passant.
Jay fühlte, wie ihn jemand hochzuziehen versuchte. Er wollte die Hände abwehren, doch es gelang ihm nicht. Mit aller Kraft, die er noch aufwenden konnte, riss er sich schließlich los, warf sich in seinen Wagen und fuhr los. Es war pures Glück, dass er keinen Fußgänger anfuhr oder ein anderes Auto rammte. Als er vom Parkplatz wegfuhr, begann der Schmerz langsam nachzulassen. Er konnte wieder genug erkennen, um einen Unfall zu vermeiden. Als er eine Seitenstraße erreicht hatte und anhielt, hatte er sein Gleichgewicht wiedergefunden.
Er stellte die Gangschaltung auf “Parken” und blickte in den Rückspiegel. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er ein böses Gesicht, das ihn vom Rücksitz angrinste. Doch als er sich umdrehte, war niemand da.
“Oh Mist, verdammter”, schimpfte er. “Bitte nicht er, bitte alles, nur das nicht.”
Er wurde von Angst und Schmerzen gequält, während seine Gedanken von einem verrückten Szenario zum nächsten flogen. Vielleicht sollte er in einen brennenden Hochofen springen. Oder den Löwen im Zoo einen Besuch abstatten. Vielleicht sollte er sich in den Potomac stürzen. Das war es. Könnte er auf dem Wasser gehen, dann würden die Leute ihn schon verstehen. Dann könnten sie sehen, dass er ein wahrhaftiges, reines Leben führte.
Er wusste nicht, wie lange er schon dort gesessen hatte, aber als ihm bewusst wurde, wie spät es war, brach er in Panik aus. Wenn Thad Ormin die Lilien bereits geliefert hatte, waren fünfzig Dollar verschwendet. Ohne sich bewusst zu sein, dass er fluchte, fuhr er mit quietschenden Reifen vom Parkplatz und hinterließ eine heiße Gummispur. Wohl kaum das richtige Benehmen für einen Mann Gottes.
Thad Ormin war ein gescheiterter Schauspieler. Die ersten zehn Jahre nach der Highschool hatte er damit verbracht, sich in Hollywood herumzutreiben und auf den großen Durchbruch zu hoffen. Alles, was er bekommen hatte, war ein Tripper und zwei Kündigungen. Nachdem ihm fast ein Auftritt in einer Travestieshow angeboten worden wäre, was er ernsthaft in Betracht gezogen hätte, hatte er schließlich seine Sachen gepackt und den nächsten Bus nach Ohio genommen. Als ihm das Leben in Brookville mit seinen 387 Einwohnern zu langweilig wurde, machte er sich wieder aus dem Staub, diesmal Richtung Ostküste. Er hatte einen Auftritt in einem kleinen Theater von D.C. ergattert. Doch als das Stück abgesetzt wurde, blieb er hier hängen. Nicht, weil er diese Stadt so sehr mochte, sondern weil er sich in eine Frau verliebt hatte. Ihr Name war Millicent, aber er nannte sie Millie. Sie war zwölf Jahre älter als er, gute zehn Kilo zu schwer und konnte beim besten Willen das Geld nicht zusammenhalten. Doch sie hatte ein unglaublich ansteckendes Lachen, machte
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