Der Jünger
musste ein Grinsen unterdrücken, als sie hörte, wie Ben die Garderobenfrau ermahnte, den Preis mit ihrem Leben zu beschützen.
Die Musiker stimmten ihre Instrumente, was etwas schief klang. Gemeinsam betraten sie den Ballsaal. Ben grinste. “Das Getanze ist vielleicht nicht so schlimm wie befürchtet.”
“Warum sagst du das?”, fragte January.
“Weil die Musik so klingt, wie ich tanze.”
Sie boxte ihm spielerisch gegen den Arm. “Du bist ganz schön eingebildet, Benjamin Wade North.”
Er grinste, dann blieb er plötzlich stehen. “Hey, das erinnert mich an etwas: Du kennst meinen vollen Namen. Und was hat Rivera gemeint? Du heißt gar nicht January?”
“Doch, das ist mein richtiger Vorname. Der Rest ist ziemlich umständlich, deshalb heben wir uns das für später auf. Hörst du die Musik? Das ist unser Zeichen.”
Ben seufzte, dann nahm er sie beim Ellbogen. “Möchten Sie tanzen?”
“Ja, bitte”, entgegnete sie und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen.
Jeden Samstagabend servierten die Barmherzigen Schwestern Suppe und Sandwiches im Obdachlosenheim. Heute gab es Tomatensuppe und Käsebrote. Und da ein halbes Dutzend Bäckereien in D.C. Donuts und süße Brötchen gespendet hatten, die an diesem Tag nicht verkauft worden waren, gab es auch noch einen Nachtisch.
Das zusätzliche Dessert zum Menü verbreitete eine festliche Stimmung in dem großen Speisesaal. Ein Mann hatte sein Essen beendet und stand auf, um für den Nächsten Platz zu machen, blieb aber noch stehen und unterhielt sich.
Eine junge Nonne, die gerade erst ihren endgültigen Treueid geschworen hatte, lief zwischen den Tischen herum, servierte Wasser und Kaffee und hüpfte ab und zu im Takt eines improvisierten Gitarrensolos, das einer der Obdachlosen auf seinem Instrument zum Besten gab. Die gute Laune der Nonne wirkte ansteckend auf die Essenden und auf die anderen hungrigen Obdachlosen, die bei jedem ihrer Hopser und Drehungen laut auflachten.
Jay war hereingekommen, hatte sich hingesetzt und ohne aufzublicken sein Essen beendet. Erst als er fertig war, ließ er seinen Blick umherschweifen. Der Musiker traf nicht immer die Töne, aber er bemühte sich wenigstens. Suchend blickte sich Jay um. Sein Blick fiel auf bekannte und auf weniger bekannte Gesichter. Erst als er zum Eingang hinübersah, entdeckte er sie. Sie begrüßte Spätankommende mit einem Lächeln und einem Händedruck. Jay empfand es als tröstlich, ihr einfach nur zuzusehen, wie sie Anteilnahme und Barmherzigkeit zeigte. Er sehnte sich nach der Wärme, die sie ausstrahlte. Dann erinnerte er sich wieder an seine Jünger und daran, dass sie auf Essen und Wasser warteten.
“He, Kumpel, isst du das noch auf?”
Jay drehte sich zu dem Mann um, dann sah er auf seinen Teller mit dem liegengebliebenen Stück Kruste und Käse. Er schob ihn kommentarlos zur Seite und achtete nicht darauf, mit welcher Gier sein Nachbar sich über die Reste hermachte und sie hastig in den Mund stopfte.
Jay stand auf und ging zur Tür, doch je mehr er sich der älteren Nonne näherte, desto wilder schlug sein Herz. Sie bildete einen so wichtigen Teil seiner Reise und wusste es nicht einmal.
“Guten Abend”, sagte Mutter Mary Theresa, als Jay an ihr vorbeilief. “Gott segne dich”, fügte sie hinzu.
“Gott segne Sie auch … Mutter”, erwiderte Jay und lief weiter, ohne sich umzublicken.
Er stieg ins Taxi und fuhr direkt zum Lagerhaus. Er überprüfte kurz den Raum, den er für Mutter vorbereitet hatte, dann nahm er die Tüte mit den Lebensmitteln und ging zu dem alten Hochofen hinüber.
Matthew flüsterte etwas. Es war das erste Mal, dass die anderen ihn etwas anderes murmeln hörten als seinen Militärrang und seine Seriennummer. Sie verstanden seine Worte nicht, hörten nur ein Wispern und sahen die Bewegung seiner Lippen.
Thad war der Neue hier. Er hatte so lange geschrien und geflucht, bis er nur noch ein heiseres Krächzen herausbrachte, doch sein Kampfgeist war ungebrochen.
Tom blieb ruhig, hatte aber einen festen Plan. Letzte Nacht hatte er beschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sein Körper lag zwar in Ketten, aber sein Geist war frei. Er hatte Vietnam nicht ohne seelische Narben und Groll überstanden, aber er hatte es geschafft, lebend nach Hause zu kommen, nur um dann angespuckt und als Kindermörder beschimpft zu werden. Das war der Lohn dafür, dass er sein Vaterland verteidigt hatte. Er war in Vietnam ebenso Ziel von Hohn und Spott gewesen
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