Der Jünger
wie später in den Vereinigten Staaten. Nie wieder wollte er in die Opferrolle geraten.
Simon Peters war am längsten hier. Er glaubte nicht mehr daran, dass er diesen Albtraum lebend überstehen würde. Nachdem ihm von seinem eigenen Gestank übel geworden war, hatte er sich lieber die Kleider vom Leib gerissen, als noch einmal darin zu schlafen. Er hatte seine Sachen in die Mitte des Raumes geschleudert, und wenn Blicke Feuer entfachen könnten, dann wären sie längst in Flammen aufgegangen.
Der zweite Jünger, der ebenfalls Simon hieß, war groß und glatzköpfig und hatte ein ernstes Alkoholproblem. Tagelang hatte er unter dem Entzug und den Halluzinationen gelitten. Er hatte geglaubt, dass Feuerameisen über ihn krabbelten und ihn verspeisten. Sein ständiges Geschrei brachte die anderen Inhaftierten fast um den kleinen Rest des Verstandes, der ihnen noch geblieben war.
Phillip Benton hatte sich zusammengerollt und weigerte sich zu akzeptieren, was mit ihm passierte.
Die beiden Männer namens James hatten sich offensichtlich schon vorher von der Straße gekannt und gehasst. Hätte Jay das gewusst, dann hätte er sie weiter voneinander entfernt angekettet. Wenigstens konnten sie sich jetzt nur anspucken. Ihre Hemden waren vorn vollkommen mit Speichel beschmutzt, ebenso ihre Gesichter.
John Marino hatte sich immer für einen harten Burschen gehalten. Jahrelang war er allein zurechtgekommen. Für ein paar Cents extra hatte er Mülltonnen nach Pfandflaschen durchsucht und in drei verschiedenen Lokalen in unterschiedlichen Schichten das Geschirr gespült. Doch jetzt, wo er so lange weg war, hatte er seine Jobs sicher verloren, und auch seine winzige Wohnung war bestimmt an jemand anders vermietet worden. Diese Vorahnung beängstigte ihn noch mehr als die Tatsache, dass er an die Wand gekettet war. Er hatte schon eine gewisse Routine gebraucht, um überhaupt sein altes Leben zu ertragen. Für sein neues Dasein, das er angekettet in einem alten Lagerhaus fristen musste, gab es nur die Hoffnung auf einen schnellen Tod. Er weinte die ganze Zeit über, ohne sich seiner Tränen zu schämen.
Andy war bereits seit Wochen nackt. So kam er besser an seinen Penis heran, mit dem er sich von morgens bis abends beschäftigte. Für Andy existierten nur zwei verschiedene Zustände: Entweder er war erregt oder er schlief, erschöpft und entspannt von seinen Orgasmen. Es war offensichtlich, dass Andy nicht der Hellste war, aber andererseits beneideten ihn seine Leidensgenossen um die Einfältigkeit seines Geistes, der es tatsächlich schaffte, sich völlig in seinen Vorstellungen zu verlieren und die Realität dieses Ortes auszuschalten.
Jay hatte eine große Laterne, die, wie es die Werbung versprach, das Licht von tausend Kerzen brachte, eine Tüte voller Fleischkonserven, Obst, Brot und Flaschen mit Wasser, dazu seine Bibel. Der Schmerz in seinem Kopf hatte nachgelassen, und deshalb wollte er beten. Er war auch neugierig, wie sie wohl auf sein verändertes Äußeres reagieren würden. Aus diesem Grund zündete er beim Betreten des alten Hochofens die Laterne an und stellte sie auf den Boden.
Tom war der Erste, dem auffiel, dass der Mann, der hereinkam, nicht aussah wie ihr Entführer. Er redete und lachte gleichzeitig.
“Gott sei Dank!”, rief er und streckte die Hände aus. “Helfen Sie uns, Mann! Sie müssen uns helfen. Rufen Sie die Cops! Wir brauchen Bolzenschneider und ärztliche Hilfe.”
Die anderen Männer stimmten in seine Rufe mit ein und machten so viel Krach, dass die Schreie, die von den Wänden des alten Hochofens schallten, in Jays Kopf fuhren und seinen dumpfen Schmerz erneut zur Explosion brachten. Er taumelte schockiert zurück. Auf diese Heftigkeit ihrer Reaktion war er nicht vorbereitet.
Verzweifelt schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und schrie.
Die Hoffnung, in die Tom angesichts ihrer bevorstehenden Rettung kurz verfallen war, hatte sich sofort wieder gelegt. Der Mann sah zwar aus wie ein Unbekannter, aber sein Verhalten war ihm durchaus vertraut.
“Allmächtiger”, stöhnte Tom, sank zu Boden und hielt sich die Augen zu.
Von einem Moment zum anderen war die Vorfreude der Männer verflogen. Nach einem kollektiven, ungläubigen Aufstöhnen folgte ein Augenblick der Stille, dann waren Schluchzer zu hören. Sie alle hatten das Gefühl, einen gemeinsamen Tod zu erleben – den Tod ihrer aufkeimenden Hoffnung.
Jay versuchte, sich auf seine Bibel zu konzentrieren. Die Worte des Herrn
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