Der Jüngling
aber angesichts der vollendeten Tat erscheint etwas an ihm so grob fehlerhaft, daß eine strenge Betrachtung der Sache unwillkürlich sogar das Mitleid aus der Seele hinausdrängt.«
»Wissen Sie was: ich habe es Ihnen schon vorhin an den Augen angesehen, daß Sie Krafft tadeln würden, und um diesen Tadel nicht zu hören, nahm ich mir vor, Sie nicht um Ihre Meinung zu fragen; aber Sie haben sie von selbst ausgesprochen, und ich sehe mich wider Willen genötigt, Ihnen zuzustimmen; aber trotzdem bin ich mit Ihnen unzufrieden! Mir tut Krafft leid.«
»Wissen Sie, wir geraten zu tief hinein ...«
»Ja, ja«, unterbrach ich ihn, »aber tröstlich ist wenigstens das eine, daß immer in solchen Fällen die am Leben gebliebenen Richter sich ruhig sagen können: ›Wenn sich da auch ein Mensch erschossen hat, der jedes Mitleid und jedeNachsicht verdient, so sind doch wir am Leben geblieben, und es ist folglich kein Anlaß, sehr zu trauern.‹«
»Ja, natürlich, wenn man es von diesem Gesichtspunkt aus ansieht ... Ach, aber ich glaube, Sie haben einen Scherz gemacht! Einen sehr verständigen Scherz. Ich pflege um diese Zeit meinen Tee zu trinken und werde ihn sogleich bestellen; Sie leisten mir doch wohl Gesellschaft?«
Er ging hinaus und maß dabei mit seinen Blicken meinen Koffer und mein Bündel.
Ich hatte allerdings etwas recht Boshaftes sagen wollen, um Krafft zu rächen, und ich hätte es gesagt, so gut es mir gelingen wollte, aber interessant war mir, daß er das, was ich von solchen Überlebenden wie uns gesagt hatte, anfangs für Ernst hielt. Aber jedenfalls hatte er in allen Punkten mehr recht als ich, sogar hinsichtlich der Gefühle. Ich war mir dessen ohne alles Mißvergnügen bewußt, aber ich hatte die entschiedene Empfindung, daß ich ihn nicht liebte.
Als der Tee gebracht war, sagte ich ihm, ich bäte ihn um Gastfreundschaft nur für diese eine Nacht; wenn es nicht ginge, möge er es offen sagen; ich würde dann in eine Herberge gehen. Darauf legte ich ihm in aller Kürze meine Gründe dar; ich sagte ihm geradeheraus, daß ich mich mit Wersilow für alle Zeit überworfen hätte, ging aber auf Einzelheiten nicht ein. Wassin hörte aufmerksam zu, aber ohne irgendwelche Erregung zu bekunden. Überhaupt antwortete er nur auf meine Fragen; dies tat er allerdings willig und mit hinreichender Ausführlichkeit. Von dem Brief aber, über den ich ihn vorher bei meinem ersten Besuch hatte um Rat fragen wollen, schwieg ich vollständig; meinen vorherigen Besuch bezeichnete ich als bloße Visite. Da ich Wersilow mein Wort darauf gegeben hatte, daß von diesem Brief niemand außer mir erfahren solle, hielt ich mich nicht mehr für berechtigt, irgend jemandem etwas davon zu sagen. Ich hatte aus irgendwelchen Gründen einen Widerwillen dagegen bekommen, von manchen Dingen Wassin Mitteilung zu machen. Von manchen ja, von andern nein: so gelang es mir, durch meinen Bericht über die Szenen, die sich auf dem Flur und im Zimmer der Nachbarinnen vorher abgespielt und in Wersilows Wohnung ihren Abschluß gefunden hatten, sein Interesse zu erwecken.Er hörte sehr aufmerksam zu, besonders als ich von Stebelkow sprach. Wie Stebelkow mich nach Dergatschew gefragt hatte, das mußte ich ihm zweimal wiederholen, und er wurde dabei ganz nachdenklich; gegen Ende übrigens lächelte er dennoch. Ich hatte in diesem Augenblick plötzlich die Empfindung, daß Wassin sich durch nichts und niemals in Verlegenheit bringen lasse; übrigens hatte dieser Gedanke, als er mir zum erstenmal durch den Kopf ging, eine für Wassin sehr schmeichelhafte Gestalt.
»Überhaupt konnte ich aus dem, was Herr Stebelkow sagte, oft nicht recht klug werden«, schloß ich meine Mitteilungen über Stebelkow, »er redet eigentümlich unklar ... und als steckte in ihm eine gewisse Leichtfertigkeit ...«
Wassin machte sogleich eine ernste Miene.
»Er besitzt allerdings nicht die Gabe des Wortes, aber es ist ihm schon manchmal gelungen, gleich auf den ersten Blick sehr treffende Bemerkungen zu machen, und überhaupt – das sind mehr Männer des praktischen Handelns, des Geschäftslebens als des abstrakten Gedankens; von diesem Gesichtspunkt aus muß man sie beurteilen ...«
Das war genau dasselbe, was ich vorher gedacht hatte.
»Aber er hat bei Ihren Nachbarinnen einen furchtbaren Aufstand hervorgerufen, und Gott weiß, wie das noch hätte enden können.«
Über seine Nachbarinnen teilte mir Wassin mit, sie hätten diese Wohnung seit ungefähr drei Wochen
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