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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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war und mir gerade eine Droschke holen wollte, kam meine Schwester zu mir in mein Giebelzimmer.
    »Da schickt dir Mama deine sechzig Rubel und bittet dich nochmals um Entschuldigung dafür, daß sie Andrej Petrowitsch davon erzählt hat, und außerdem hier noch zwanzig Rubel. Du hast ihr gestern für deinen Unterhalt fünfzig Rubel gegeben; Mama sagt, mehr als dreißig könne sie von dir unter keinen Umständen annehmen, weil fünfzig Rubel nicht für dich ausgegeben wurden, und schickt dir zwanzig wieder zurück.«
    »Na, dann danke ich schön, wenn sie nur die Wahrheit sagt. Leb wohl, Schwester, ich verlasse das Haus!«
    »Wo willst du jetzt hin?«
    »Vorläufig in eine Herberge, damit ich nur nicht noch einmal in diesem Haus zu übernachten brauche. Sage Mama, daß ich sie liebe.«
    »Das weiß sie. Sie weiß, daß du auch Andrej Petrowitsch liebst. Schämst du dich denn gar nicht, daß du diese unglückliche Person hergebracht hast?«
    »Ich schwöre dir, daß ich es nicht getan habe; ich habe sie am Tor getroffen.«
    »Nein, du hast sie hergebracht.«
    »Ich versichere dir ...«
    »Denk mal nach, frage dich ernstlich, und du wirst sehen, daß auch du mit die Veranlassung dazu warst.«
    »Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß Wersilow an den Pranger gestellt wurde. Kannst du dir das vorstellen: er zieht da ein kleines Kind auf, das ihm Lidija Achmakowa geboren hat ... übrigens, was rede ich da zu dir ...«
    »Er? Ein kleines Kind? Aber das ist nicht sein Kind! Woher hast du denn diese Unwahrheit gehört?«
    »Na, wie kannst du etwas davon wissen?«
    »Ich sollte nichts davon wissen? Aber ich habe ja dieses Kind selbst in Luga gepflegt. Hör mal, Bruder: ich sehe schon lange, daß du von all diesen Sachen nicht das geringste weißt, aber dabei doch Andrej Petrowitsch beleidigst. Nun, und Mama beleidigst du ebenfalls.«
    »Wenn er nichts Schlechtes getan hat, werde ich um Entschuldigung bitten, ganz einfach; euch aber werde ich darum nicht weniger lieben. Warum bist du denn so rot geworden, Schwester? Na sieh mal, jetzt noch mehr! Nun gut, aber diesen jungen Fürsten werde ich doch zum Duell fordern wegen der Ohrfeige, die er Wersilow in Ems gegeben hat. Wenn Wersilow gegenüber Fräulein Achmakowa sich nichts hat zuschulden kommen lassen, dann erst recht.«
    »Bruder, komm zur Besinnung! Was redest du da?«
    »Zum Glück ist jetzt der Prozeß beim Gericht beendet ... Na, aber jetzt bist du ja ganz blaß geworden!«
    »Aber der Fürst wird sich nicht mit dir schlagen«, sagte Lisa, über deren blasses Gesicht trotz ihres Schreckens ein Lächeln hinzog.
    »Dann werde ich ihn öffentlich beschimpfen. Was ist dir, Lisa?«
    Sie war so blaß geworden, daß sie sich nicht auf den Beinen halten konnte und auf das Sofa sank.
    »Lisa!« hörten wir die Mutter von unten rufen.
    Sie raffte sich zusammen und stand auf; sie lächelte mir freundlich zu.
    »Bruder, laß diese Torheiten oder warte vorläufig noch, bis du mehr über diese Dinge erfahren hast. Du weißt noch furchtbar wenig darüber.«
    »Ich werde es nicht vergessen, Lisa, daß du blaß geworden bist, als du hörtest, daß ich mich duellieren will.«
    »Ja, ja, denk auch daran!« erwiderte sie, lächelte mir noch einmal zum Abschied zu und ging nach unten.
    Ich holte mir eine Droschke und trug mit Hilfe des Kutschers meine Sachen aus der Wohnung. Keiner meiner Angehörigen sagte ein Wort dagegen oder suchte mich zurückzuhalten. Ich ging nicht in die Stube, um von meiner Mutter Abschied zu nehmen, weil ich nicht noch einmal mit Wersilow zusammenkommen wollte. Als ich bereits in derDroschke saß, schoß mir auf einmal ein Gedanke durch den Kopf.
    »Nach der Fontanka, zur Semjonowskij-Brücke!« befahl ich und fuhr wieder zu Wassin.

II
     
    Ich hatte mir auf einmal die Vorstellung gebildet, Wassin werde gewiß schon von Kraffts Selbstmord wissen, und vielleicht hundertmal mehr als ich; und so stellte es sich denn auch heraus. Wassin teilte mir sofort bereitwillig alle Einzelheiten mit, übrigens ohne besondere Erregung; ich schloß daraus, daß er wohl sehr ermüdet sei, und so war es auch wirklich. Er war selbst am Vormittag bei Krafft gewesen. Krafft hatte sich mit einem Revolver erschossen (mit eben dem, von welchem ich oben gesprochen habe), am Abend, als es schon ganz dämmrig geworden war, was sich aus seinem Tagebuch ergab. Die letzte Eintragung war in dem Tagebuch unmittelbar vor dem Schuß gemacht worden, und er bemerkt darin, er schreibe beinah im

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