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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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seiner Gewohnheit nichts tat, erhob sich bei unserm Eintritt und richtete einen strengen, fragenden Blick auf mich.
    »Ich habe hiermit nichts zu schaffen«, sagte ich, eilig abwehrend, und trat dann beiseite, »ich habe diese Dame eben erst am Tor getroffen; sie suchte Sie, und niemand konnte ihr Auskunft geben. Ich aber bin in einer eigenen Angelegenheit gekommen, die ich nach der Dame das Vergnügen haben werde Ihnen auseinanderzusetzen.«
    Wersilow fuhr indes fort, mich prüfend anzusehen.
    »Erlauben Sie«, begann das junge Mädchen ungeduldig. Wersilow wandte sich ihr zu.
    »Ich habe lange darüber nachgedacht, in welcher Absicht Sie mir wohl das Geld gestern dagelassen haben ... Ich ... mit einem Worte ... da ist Ihr Geld!« rief sie beinahe ebenso kreischend wie vor kurzem und warf ein Päckchen Banknoten auf den Tisch. »Ich habe mich erst auf dem Adreßbüro erkundigen müssen, wo Sie wohnen, sonst hätte ich es Ihnen früher zurückgebracht. Hören Sie, Sie!« wandte sie sich auf einmal an meine Mutter, die ganz blaß geworden war, »ich will Sie nicht kränken, Sie sehen so rechtschaffen aus, und vielleicht ist das sogar Ihre Tochter. Ich weiß nicht, ob Sie seine Frau sind, aber ich möchte Ihnen sagen, daß dieser Herr aus der Zeitung Annoncen ausschneidet, in denen Gouvernanten und Lehrerinnen sich für ihr letztes Geld anbieten, und dann zu diesen Unglücklichen hingeht, um ehrlose Zwecke zu erreichen und sie durch sein Geld ins Unglück zu ziehen. Ich verstehe nicht, wie ich das Geld gestern habe von ihm annehmen können! Er machte ein so ehrliches Gesicht!... Schweigen Sie, kein Wort!. Sie sind ein Schurke, mein Herr! Und selbst wenn Sie mit ehrenhaften Absichten zu uns gekommen sein sollten, so will ich doch kein Almosen von Ihnen haben. Kein Wort, kein Wort! Oh, wie freue ich mich, daß ich Sie jetztvor Ihrer Familie habe entlarven können. Seien Sie verflucht!«
    Sie lief schnell hinaus, aber an der Schwelle drehte sie sich noch für einen Augenblick um, nur um zu schreien:
    »Sie sollen ja eine Erbschaft gemacht haben!«
    Und dann verschwand sie wie ein Schatten. Ich bemerke noch einmal: sie war eine Rasende. Wersilow war höchst betroffen; er stand da, als ob er nachdächte und etwas überlegte; endlich wandte er sich plötzlich zu mir:
    »Du kennst sie gar nicht?«
    »Ich habe sie vorhin zufällig gesehen, als sie auf dem Flur bei Wassin tobte, kreischte und Verwünschungen gegen Sie ausstieß; aber ins Gespräch bin ich mit ihr nicht gekommen und weiß nichts; jetzt aber traf ich sie am Tor. Wahrscheinlich ist das eben jene Lehrerin von gestern, die Rechenunterricht geben wollte?«
    »Ja, die ist es. Einmal im Leben habe ich ein gutes Werk getan, und da ... Übrigens, was hattest du noch?«
    »Hier ist ein Brief«, antwortete ich. »Eine Erklärung halte ich für überflüssig: er kommt von Krafft, und der hat ihn von dem verstorbenen Andronikow erhalten. Sie werden ja aus dem Inhalt alles ersehen. Ich füge hinzu, daß von diesem Brief jetzt niemand auf der ganzen Welt etwas weiß außer mir, denn Krafft hat sich, nachdem er mir gestern diesen Brief übergeben hatte, gleich nach meinem Fortgehen erschossen.«
    Während ich das aufgeregt und hastig sagte, nahm er den Brief und hörte, ihn in der ausgestreckten linken Hand haltend, aufmerksam zu. Als ich von Kraffts Selbstmord sprach, betrachtete ich sein Gesicht mit besonderer Aufmerksamkeit, um die Wirkung zu beobachten. Und was geschah? – Die Nachricht brachte nicht die geringste Wirkung hervor: nicht einmal, daß er die Augenbrauen in die Höhe gezogen hätte! Sondern als er sah, daß ich innehielt, zog er seine Lorgnette heraus, die ihn, an einem schwarzen Band hängend, stets begleitete, ging mit dem Brief näher an die Kerze heran, warf einen Blick auf die Unterschrift und begann, ihn aufmerksam zu lesen. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich durch diese hochmütige Gefühllosigkeit verletzt fühlte. Er mußte Krafft sehr gut gekannt haben;und dabei war es doch eine so ungewöhnliche Nachricht! Schließlich hatte ich natürlich auch gewünscht, daß sie einen gewissen Effekt machte. Ich wartete etwa eine Minute lang, aber da ich wußte, daß der Brief lang war, wandte ich mich dann um und ging hinaus. Mein Koffer war schon längst bereit, ich brauchte nur noch ein paar Sachen in ein Bündel zu packen. Ich dachte an meine Mutter, und daß ich nun gar nicht mehr zu ihr hingegangen war. Nach zehn Minuten, als ich schon ganz fertig

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