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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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sondern erkennt in diesem Schriftstück das volle Recht der Fürsten an.«
    Ich stand starr da, aber ich war entzückt. Ich war tatsächlich vollkommen davon überzeugt gewesen, daß Wersilow den Brief vernichten würde. Allerdings hatte ich zu Krafft gesagt, daß das unedel wäre, und hatte das für mich allein in dem Wirtshaus wiederholt und mir gesagt, daß ich ›zu einem sittlich reinen Menschen hergereist war, nicht zu diesem‹, – aber noch mehr für mich allein, das heißt im tiefsten Innern meiner Seele, war ich doch der Meinung gewesen, daß man gar nichts anderes tun könne, als das Schriftstück vollständig vernichten. Das heißt, ich hatte das für das allergewöhnlichste Ding von der Welt gehalten. Und wenn ich auch Wersilow nachher deswegen beschuldigt hätte, so hätte ich das nur in einer besonderen Absicht getan, nur zum Schein, nämlich um ihm gegenüber meinen höheren sittlichen Standpunkt zu behaupten. Aber als ich jetzt von Wersilows edler Tat hörte, geriet ich in das höchste, aufrichtigste Entzücken und verurteilte voll Reue und Scham meinen Zynismus und meine Gleichgültigkeit gegenüber der Tugend und stellte Wersilow moralisch hoch über mich: ich hätte Wassin beinahe umarmt.
    »Was für ein Mensch! Was für ein Mensch! Welcher andere hätte das getan?« rief ich in meinem Freudenrausch.
    »Ich stimme Ihnen darin bei, daß das nur sehr wenige getan hätten... und daß das unstreitig eine höchst uneigennützige Handlung ist...«
    »Aber?... Sprechen Sie zu Ende, Wassin; Sie haben ein ›aber‹?«
    »Ja, ein ›aber‹ habe ich allerdings; Wersilows Handlung ist meines Erachtens etwas zu hastig und nicht ganz ohne einen Hintergedanken«, antwortete Wassin lächelnd.
    »Nicht ohne einen Hintergedanken?«
    »Ja. Es spielt dabei eine Art von ›Piedestal‹ mit. Denn es wäre jedenfalls möglich gewesen, dasselbe zu tun, ohne sich selbst so stark zu schädigen. Auch jetzt hätte Wersilow, selbst bei der penibelsten Auffassung der Sache, wenn nicht die Hälfte, so doch unzweifelhaft einen Teil der Erbschaft für sich behalten können, um so mehr, als das Schriftstück keine entscheidende Bedeutung hat und der Prozeß bereits zu seinen Gunsten entschieden ist. Dieser Meinung ist auch der Anwalt der Gegenpartei selbst; ich habe soeben mit ihm gesprochen. Die Handlung würde ebenso schön bleiben, aber einzig und allein aus einer Anwandlung von Stolz hat Herr Wersilow es anders gemacht. Die Hauptsache ist: er ist ein bißchen hitzig geworden und hat sich übermäßig beeilt; er hat ja selbst vorhin gesagt, daß er die Sache eine Woche hätte aufschieben können ...«
    »Wissen Sie was, Wassin? Ich kann nicht umhin, Ihnen zuzustimmen, aber... so ist es mir doch lieber! So gefällt es mir besser!«
    »Nun, das ist Geschmackssache. Sie selbst haben mich zu einer Meinungsäußerung veranlaßt, sonst hätte ich geschwiegen.«
    »Selbst wenn dabei ein ›Piedestal‹ mitspielt, auch dann ist es mir so lieber«, fuhr ich fort, »ein Piedestal ist ja zwar ein Piedestal, aber doch an und für sich etwas sehr Wertvolles. Dieses ›Piedestal‹ ist ja doch auch ein Stück Idealismus, und es ist kaum ein besserer Zustand, daß dieser heutzutage in mancher Seele nicht vorhanden ist: mag er auch mit einem kleinen Auswuchs behaftet sein, wenn er nur da ist! Und gewiß denken Sie auch selbst so. Wassin, liebster Wassin, bester Wassin! Kurz, ich rede natürlich lauter Unsinn zusammen, aber Sie verstehen mich ja doch. Dafür sind Sie eben Wassin, und jedenfalls will ich Sie umarmen und küssen, Wassin!«
    »Vor Freude?«
    »Ja, vor großer Freude! Denn dieser Mensch ›war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wiedergefunden worden‹. Wassin, ich bin ein törichter Junge und Ihrer nicht wert. Und eben deswegen gestehe ich, daß ich in manchen Augenblicken ein ganz andererbin, höher und tiefer. Dafür, daß ich Sie vorgestern ins Gesicht gelobt hatte (das hatte ich aber nur getan, weil andere mich erniedrigt und herabgedrückt hatten), dafür habe ich Sie zwei ganze Tage lang gehaßt! Ich hatte mir gleich in jener Nacht vorgenommen, niemals zu Ihnen zu gehen, und bin gestern vormittag nur aus Bosheit zu Ihnen gekommen, verstehen Sie wohl, aus Bosheit . Ich saß hier allein auf dem Stuhl und kritisierte Ihr Zimmer und Sie und jedes Ihrer Bücher und Ihre Wirtin und gab mir Mühe, Sie zu erniedrigen und über Sie zu lachen ...«
    »Das braucht man aber doch nicht zu sagen

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