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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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und Mama waren anscheinend schon seit einiger Zeit da. Sein Gesicht war finster und sorgenvoll.
    »Am meisten tut es mir leid«, begann er langsam zu Wassin, offenbar in Fortsetzung eines angefangenen Gesprächs,»daß ich nicht dazu gekommen bin, diese ganze Sache noch gestern abend in Ordnung zu bringen; wahrscheinlich hätte dann dieses schreckliche Ereignis nicht stattgefunden! Und die Zeit hätte noch ausgereicht: es war noch nicht acht Uhr. Kaum war sie gestern von uns weggelaufen, da kam mir sofort der Gedanke, ihr hierher zu folgen und sie umzustimmen, aber diese unvorhergesehene, unaufschiebbare Sache, die ich übrigens sehr wohl hätte bis heute aufschieben können ... sogar eine Woche – diese ärgerliche Sache hat alles verhindert und alles verdorben. So geht es nun einmal!«
    »Vielleicht wäre es Ihnen doch nicht gelungen, sie umzustimmen; da war auch schon ohne Sie so vieles ins Brennen und Sieden geraten«, bemerkte Wassin obenhin.
    »Nein, es wäre mir gelungen, es wäre mir sicher gelungen. Und es fuhr mir auch der Gedanke durch den Kopf, statt selbst hinzugehen, Sofja Andrejewna hinzuschicken. Aber das war nur so ein flüchtiger Einfall. Wenn Sofja Andrejewna allein hergekommen wäre, hätte sie sie zur Vernunft gebracht, und die Unglückliche wäre am Leben geblieben. Nein, nie wieder werde ich mich ... auf ›gute Taten‹ einlassen ... Und nur ein einziges Mal in meinem Leben habe ich mich darauf eingelassen! Und ich hatte gedacht, ich wäre noch nicht antiquiert und hätte Verständnis für die moderne Jugend. Aber kaum ist unsereiner reif geworden, so ist er auch schon rückständig. Beiläufig bemerkt, es gibt ja tatsächlich heutzutage außerordentlich viele Menschen, die sich gewohnheitsmäßig immer noch zur jungen Generation rechnen, weil sie noch gestern dazu gehörten, und die gar nicht merken, daß sie schon altes Eisen geworden sind.«
    »Es hat hier ein Mißverständnis stattgefunden, ein ganz offenbares Mißverständnis«, bemerkte Wassin verständig. »Ihre Mutter sagt, es scheine, daß sie nach der schrecklichen Beleidigung in dem Bordell die gesunde Urteilskraft verloren habe. Nehmen Sie alle Umstände hinzu, die erste Beleidigung durch den Kaufmann ... all das hätte sich genau ebenso auch in früheren Zeiten ereignen können und ergibt meines Erachtens keineswegs ein der jetzigen Jugend besonders eigenes Charakteristikum.«
    »Ein bißchen ungeduldig ist sie schon, die heutige Jugend, ganz abgesehen natürlich von dem geringen Verständnis für die Wirklichkeit, das allerdings der Jugend aller Zeiten eigen ist, aber doch der heutigen in besonders hohem Grade ... Sagen Sie, was hat eigentlich Herr Stebelkow hier angestellt?«
    »Herr Stebelkow«, mischte ich mich auf einmal ins Gespräch, »ist an allem schuld. Wenn er nicht gewesen wäre, würde nichts passiert sein. Er hat Öl ins Feuer gegossen.«
    Wersilow hörte aufmerksam zu, aber ohne mich anzusehen. Wassin machte ein finsteres Gesicht.
    »Ich mache mir auch wegen eines lächerlichen Umstandes Vorwürfe«, fuhr Wersilow fort, indem er wie vorher ohne Eile sprach und die Worte dehnte. »Es scheint, daß ich nach meiner schlechten Gewohnheit mir damals ihr gegenüber eine gewisse Lustigkeit erlaubte, so ein leichtfertiges Lachen, kurz, daß ich nicht scharf, trocken und finster genug gewesen bin, drei Eigenschaften, die ja wohl auch von der heutigen jungen Generation sehr hoch bewertet werden. Kurz, ich habe ihr Anlaß gegeben, mich für einen vagierenden Scladon zu halten.«
    »Ganz im Gegenteil«, fiel ich wieder in entschiedenem Ton ein, »die Mutter versichert ausdrücklich, daß Sie gerade durch Ihr ernstes, sogar strenges Wesen und durch Ihre Offenheit – das sind ihre eigenen Worte – einen vorzüglichen Eindruck gemacht haben. Die Verstorbene selbst hat Sie, als Sie weggegangen waren, in diesem Sinne gelobt.«
    »Ja-a?« murmelte Wersilow und warf mir endlich einen flüchtigen Blick zu. »Nehmen Sie diesen Zettel; er wird für die Erledigung der Angelegenheit notwendig sein«, sagte er und reichte Wassin ein winziges Stück Papier hin. Dieser nahm es, und da er sah, daß ich neugierig hinblickte, gab er es mir zum Durchlesen. Es waren nur zwei unregelmäßige Zeilen, mit Bleistift gekritzelt, vielleicht im Dunkeln:
    »Liebes Mamachen, verzeihen Sie mir, daß ich mein Lebensdebüt abgebrochen habe. Ihre Sie betrübende Olga.«
    »Das ist erst am Vormittag gefunden worden«, fügte Wassin zur Erklärung

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