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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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– aber ich war ahnungslos, ganz ahnungslos; weder gestern noch früher ist mir so etwas in den Sinn gekommen, darauf bin ich nicht verfallen, und von Olga hätte ich das gar nicht erwartet. Ich habe gewöhnlich einen festen Schlaf, ich schnarche; das Blut strömt mir nach dem Kopf und beklemmt mir manchmal auch das Herz; dann schreie ich im Schlaf auf, so daß Olga mich schon mitunter in der Nacht geweckt und gesagt hat: ›Was ist nur mit Ihnen, Mamachen; wie fest Sie schlafen; man kann Sie ja gar nicht wachbekommen, wenn es nötig sein sollte.‹ – ›Ach ja, Olga‹,habe ich dann erwidert, ›ich schlafe sehr fest, sehr fest.‹ Jedenfalls hat sie nun gestern gewartet, bis ich anfing zu schnarchen, und ist dann unbesorgt aufgestanden. Und dieser lange Riemen vom Koffer hat sich immer so offen herumgetrieben, den ganzen Monat; noch gestern morgen habe ich gedacht: ›Ich muß ihn doch endlich wegräumen, damit er einem nicht im Weg liegt.‹ Und den Stuhl hat sie nachher jedenfalls mit dem Fuß weggestoßen und, damit er nicht polterte, an der Seite ihren Rock auf den Fußboden gelegt. Und ich bin gewiß erst lange, lange nachher, eine ganze Stunde oder noch länger nachher, aufgewacht. ›Olga!‹ rufe ich, ›Olga!‹ Es schoß mir gleich so etwas durch den Kopf, daß ich rief. Ob ich nun ihr Atmen vom Bett her nicht hörte oder am Ende trotz der Dunkelheit erkannte, daß das Bett leer war, kurz, ich stand plötzlich auf und fühlte mit der Hand hin: niemand war im Bett, und das Kissen war kalt. Da hörte mir fast das Herz auf zu schlagen; ich stand auf dem gleichen Fleck ohne Besinnung, mein Verstand wurde ganz wirr. ›Sie wird hinausgegangen sein‹, denke ich; ich ging am Bett einen Schritt weiter, und da sehe ich in der Ecke bei der Tür, als ob sie selbst da stände. Ich stehe da und schweige und blicke nach ihr hin, und es ist mir, als ob auch sie aus der Dunkelheit heraus mich ansieht, ohne sich aber zu rühren. ›Aber wozu ist sie nur auf den Stuhl gestiegen?‹ denke ich. – ›Olga‹, flüstere ich ganz ängstlich, ›Olga, hörst du?‹ Da auf einmal war mir's, als ob in meinem Innern alles hell wurde; ich tue ein paar Schritte vorwärts, strecke beide Arme nach vorn, gerade nach ihr hin und umfasse sie, aber sie schaukelt in meinen Armen; ich fasse fester zu, aber sie schaukelt wieder. Nun begriff ich alles und wollte es doch nicht begreifen ... Ich wollte schreien, bekam aber keinen Ton aus der Kehle ... ›Ach!‹ dachte ich; dann fiel ich lang auf den Fußboden, und nun fing ich an zu schreien ...«
    »Wassin«, sagte ich am Morgen zwischen fünf und sechs Uhr, »wenn Ihr Stebelkow sich nicht eingemengt hätte, wäre das vielleicht nicht passiert.«
    »Wer kann das wissen; es wäre wohl doch passiert. So kann man in diesem Fall nicht urteilen; es war sowiesoschon alles dazu reif ... Allerdings, dieser Stebelkow ist manchmal ...«
    Er sprach den Satz nicht zu Ende und runzelte sehr unangenehm die Stirn. Zwischen sechs und sieben fuhr er wieder weg; er hatte es übernommen, alles zu besorgen. Ich blieb endlich völlig allein zurück. Es war schon hell geworden. Im Kopf war mir ein wenig schwindlig. Wersilow stand mir vor Augen: die Erzählung dieser Frau hatte ihn mir in einem ganz anderen Lichte gezeigt. Um bequemer darüber nachzudenken, legte ich mich so, wie ich war, in Kleidern und Stiefeln, auf Wassins Bett, nur für einen Augenblick, ganz ohne die Absicht zu schlafen – und schlief auf einmal ein, ohne daß ich mich nachher hätte besinnen können, wie es zugegangen war. Ich schlief beinah vier Stunden; niemand weckte mich.

Zehntes Kapitel
     
I
     
    Ich erwachte gegen halb elf und wollte lange Zeit meinen Augen nicht trauen: auf dem Sofa, auf dem ich am vorhergehenden Abend eingeschlafen war, saß meine Mutter und neben ihr die unglückliche Nachbarin, die Mutter der Selbstmörderin. Sie hatten einander an den Händen gefaßt und redeten flüsternd, wahrscheinlich um mich nicht aufzuwecken, und beide weinten. Ich stand vom Bett auf und ging geradeswegs zu meiner Mutter hin, um sie zu küssen. Ihr ganzes Gesicht strahlte auf, sie küßte mich und bekreuzigte mich dreimal mit der rechten Hand. Wir hatten noch nicht Zeit gehabt, ein Wort zueinander zu sagen, als die Tür aufging und Wersilow und Wassin hereinkamen. Mama stand sofort auf und führte die Nachbarin mit sich hinaus. Wassin reichte mir die Hand, aber Wersilow sagte kein Wort zu mir und setzte sich auf einen Lehnstuhl. Er

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