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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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kleine Wohnung; ich hatte sie, wohnte aber nicht in ihr; dort lagen nur mein Koffer, meine Reisetasche und andere Sachen; meine Hauptresidenz hatte ich beim Fürsten Sergej Sokolskij. Ich hielt mich bei ihm den Tag über auf, ich übernachtete bei ihm, und das gleich ganze Wochen lang... Wie es dazu gekommen war, das werde ich sogleich sagen; vorher nur noch ein paar Worte über diese meine kleine Wohnung. Sie war mir bereits lieb geworden: hier hatte mich Wersilow von selbst zum erstenmal nach unserm damaligen Streit besucht und war dann noch viele Male gekommen. Ich wiederhole: es war dies für mich eine Zeit furchtbarer Schmach, aber auch gewaltigen Glückes... Und alles gelang mir damals so gut, alles lächelte mir nur so zu! »Und wozu auch diese ganze Düsterkeit«, dachte ich manchmal in meinem Wonnerausch, »wozu diese alten, schmerzenden Wunden, meine einsame, traurige Kindheit, meine dummen Träumereien unter der Bettdecke, meine Schwüre, meine Spekulationen und sogar meine »Idee«? Das sind alles nur Gebilde meiner Phantasie gewesen, und nun stellt es sich heraus, daß es in der Welt ganz anders aussieht; mir ist so froh und leicht zumute: ich habe einen Vater – Wersilow; ich habe einen Freund – den Fürsten Serjosha, und ich habe noch ...« aber dieses »noch« wollen wir beiseite lassen. O weh, alles geschah im Namen der Liebe, der Hochherzigkeit und der Ehre, aber nachher erwies es sich als schändlich, frech und ehrlos.
    Genug davon!

II
     
    Zum erstenmal kam er zu mir am dritten Tag nach unserm damaligen Bruch. Ich war nicht zu Hause, und er blieb da und wartete auf mich. Als ich in mein winziges Kämmerchen trat, ging es mir seltsam: obgleich ich ihn alle diese drei Tage erwartet hatte, umflorten sich mir doch die Augen,und mein Herz klopfte so stark, daß ich sogar einen Augenblick in der Tür stehenbleiben mußte. Zum Glück saß er mit meinem Wirt zusammen da, der, damit dem Gaste das Warten nicht langweilig würde, es für nötig gefunden hatte, sich schleunigst mit ihm bekannt zu machen, und ihm nun mit großem Eifer zu erzählen angefangen hatte. Er war Titularrat, etwa vierzig Jahre alt, sehr pockennarbig, sehr arm, mit einer schwindsüchtigen Frau und einem kranken Kind belastet; von Charakter war er überaus mitteilsam, friedlich, übrigens auch recht taktvoll. Ich freute mich über seine Anwesenheit, und er half mir sogar aus der Verlegenheit, denn was hätte ich zu Wersilow sagen sollen? Ich hatte gewußt, hatte diese ganzen drei Tage bestimmt gewußt, daß Wersilow von selbst als erster kommen würde, genauso wie ich es mir wünschte, denn um keinen Preis der Welt wäre ich zuerst zu ihm gegangen, und zwar nicht aus Trotz, sondern gerade aus Liebe zu ihm, aus einer Art Eifersucht der Liebe, – ich verstehe das nicht auszudrücken. Und überhaupt wird der Leser Redegewandtheit bei mir vergebens suchen. Aber obgleich ich ihn diese ganzen drei Tage lang erwartet und es mir fortwährend ausgemalt hatte, wie er hereintreten würde, so hatte ich mir doch trotz aller Anstrengungen absolut nicht im voraus vorstellen können, wovon wir beide nach allem Vorhergegangenen auf einmal sprechen sollten.
    »Ach, da bist du ja auch!« sagte er und streckte mir, ohne von seinem Platz aufzustehen, freundschaftlich die Hand entgegen. »Setz dich zu uns; Pjotr Ippolitowitsch erzählt hier eine sehr interessante Geschichte von dem Stein bei den Pawlowskijschen Kasernen... oder da in der Gegend...«
    »Ja, ich kenne den Stein«, antwortete ich schnell und setzte mich neben sie auf einen Stuhl. Sie saßen am Tisch. Das ganze Zimmer war nur zwei Sashen im Quadrat groß. Ich holte nur mühsam Atem.
    Ein Schimmer von Befriedigung leuchtete in Wersilows Augen auf; er schien seine Zweifel gehabt und gedacht zu haben, ich würde mich theatralisch benehmen. Jetzt, war er beruhigt.
    »Fangen Sie lieber noch einmal von vorn an, Pjotr Ippolitowitsch!«Die beiden waren schon dahin gelangt, einander mit Vor- und Vatersnamen anzureden.
    »Nämlich, das hat sich noch zu Lebzeiten des seligen Kaisers zugetragen«, begann Pjotr Ippolitowitsch, indem er sich zu mir wandte; er sprach nervös und in einer Art von peinlicher Spannung, als litte er schon im voraus unter der Befürchtung eines Mißerfolges seiner Erzählung. »Sie kennen ja diesen Stein – ein dummer Stein auf der Straße; wozu? warum? er stört nur den Verkehr, nicht wahr? Der Kaiser fuhr oftmals da vorbei, und jedesmal lag dieser Stein da. Endlich erregte

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