Der Jüngling
da erst noch fragen, ob ich es gewesen bin! Na, bist du einMensch! Aber weißt du, ich hätte beinahe laut aufgelacht, als du mir da in die Augen sahst; du sahst furchtbar komisch aus.«
Sie lachte gewaltig. Ich fühlte, wie aller Kummer auf einmal aus meinem Herzen wich.
»Aber sag mal, wie kommt es denn, daß du dort warst?«
»Ich war bei Anna Fjodorowna.«
»Bei was für einer Anna Fjodorowna?«
»Bei Frau Stolbejewa. Als wir in Luga wohnten, saß ich manchmal den ganzen Tag bei ihr; sie empfing auch Mama bei sich und kam sogar zu uns zu Besuch. Und doch besuchte sie dort fast niemanden. Mit Andrej Petrowitsch ist sie entfernt verwandt; auch mit dem Fürsten Sokolskij ist sie verwandt, sie ist eine Art Großtante des Fürsten.«
»Also wohnt sie beim Fürsten?«
»Nein, der Fürst wohnt bei ihr.«
»Wem gehört denn die Wohnung?«
»Die gehört ihr; sie hat die ganze Wohnung schon seit einem Jahr. Der Fürst ist eben erst angekommen und logiert bei ihr. Auch sie selbst ist erst seit vier Tagen in Petersburg.«
»Na ... weißt du was, Lisa, sie mitsamt ihrer Wohnung ist mir ganz gleichgültig ...«
»Nicht doch, sie ist eine sehr nette Frau ...«
»Meinetwegen, in Gottes Namen! Wir sind selbst sehr nette Leute! Sieh nur, was ist heute für ein prächtiger Tag! Wie schön ist alles! Und wie schön bist du selbst heute, Lisa. Aber du bist doch noch das reine Kind.«
»Arkadij, sag bloß mal, das arme junge Mädchen von gestern.«
»Ach, es ist traurig, Lisa; ach, es ist traurig!«
»Ach ja, es ist traurig! Welch ein Schicksal! Weißt du, es ist ordentlich sündhaft, daß wir so vergnügt spazierengehen, wo ihre Seele jetzt, mit der Sünde und ihrem Leid beladen, irgendwo in der Finsternis, in der bodenlosen Finsternis umherfliegt ... Arkadij, wer ist an ihrer Sünde schuld? Ach, wie schrecklich das ist! Denkst du wohl manchmal an diese Finsternis? Ach, wie ich mich vor dem Tod fürchte, und wie sündhaft das ist! Ich kann die Dunkelheit nicht leiden; was ist die Sonne doch für eine schöne Sache! Mamasagt, diese Furcht sei sündhaft ... Arkadij, kennst du Mama genau?«
»Nur wenig, Lisa; ich kenne sie nur wenig.«
»Ach, was ist sie für ein gutes Wesen; du mußt sie kennenlernen! Man muß erst ein ganz besonderes Verständnis für sie gewinnen ...«
»Ja, siehst du wohl, auch dich habe ich früher nicht gekannt, und jetzt kenne ich dich vollständig. In einem Augenblicke habe ich dich vollständig kennengelernt. Wenn du dich auch vor dem Tod fürchtest, Lisa, so bist du doch sicherlich stolz, kühn und mutig. Du bist besser als ich, weit besser als ich! Ich hab dich furchtbar lieb, Lisa. Ach, Lisa! Mag der Tod kommen, sobald es sein muß, aber bis dahin laß uns leben, leben! Jene Unglückliche wollen wir bedauern, aber das Leben wollen wir doch segnen, nicht wahr? Nicht wahr? Ich habe eine »Idee«, Lisa. Lisa, du weißt doch, daß Wersilow auf die Erbschaft verzichtet hat?«
»Na, das sollte ich nicht wissen! Mama und ich – wir haben uns schon geküßt.«
»Du kennst meine Seele nicht, Lisa; du weißt nicht, was dieser Mann für mich bedeutet hat ...«
»Wieso weiß ich es nicht? Ich weiß alles.«
»Du weißt alles? Na, wie solltest du auch nicht? Du bist klug; du bist klüger als Wassin. Du und Mama, ihr habt durchdringende, humane Augen, das heißt einen solchen Blick, nicht solche Augen; ich rede Unsinn ... Ich habe in vieler Hinsicht meine Mängel, Lisa.«
»Man muß dich leiten, das ist das Ganze!«
»Leite mich, Lisa! Welch ein Vergnügen es ist, dich heute anzusehen! Weißt du auch, daß du sehr hübsch bist? Ich habe noch nie deine Augen gesehen. Erst jetzt sehe ich sie zum erstenmal ... Wo hast du sie heute hergenommen, Lisa? Wo hast du sie gekauft? Was hast du dafür bezahlt? Lisa, ich habe keinen Freund gehabt und halte die Idee der Freundschaft überhaupt für Unsinn, aber eine Freundschaft mit dir ist kein Unsinn ... Ist es dir recht, daß wir Freunde werden? Du verstehst, was ich sagen will? ...«
»Ich verstehe sehr gut.«
»Und, weißt du, ohne besondere Abmachungen, ohne einen Kontrakt – laß uns ganz einfach Freunde sein!«
»Ja, ganz einfach, ganz einfach, nur eines wollen wir verabreden: sollte es einmal dahin kommen, daß wir einander Vorwürfe machen, daß wir mit etwas am andern unzufrieden sind, daß wir selbst böse und schlecht gegeneinander werden, daß wir sogar alles dies vergessen – so wollen wir doch niemals diesen Tag und besonders nicht diese
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