Der Jüngling
und schon allein die Fähigkeit zum Heldentum macht glücklich. Also das wollen wir als einen zwischen uns festgestellten Satz betrachten. Gerade deswegen schätze ich dich hoch, weil du in unserer Zeit der Oxydation es fertiggebracht hast, in deiner Seele dir »deine Idee« zu schaffen (rege dich nicht auf; ich habe das sehr gut im Gedächtnis behalten). Aber dabei muß man doch auch an das rechte Maß denken, weil du jetzt ein aufsehenerregendes Leben erstrebst: du möchtest etwas anzünden, etwas zerschmettern, eine ganz Rußland überragende Stellung einnehmen, wie eine Gewitterwolke vorüberziehen und alle Menschen in Angst und Entzücken zurücklassen und selbst in den Vereinigten Staaten von Nordamerika verschwinden. Sicherlich ist deine Seele jetzt von derartigen Gedanken erfüllt, und darum halte ich es auch für notwendig, dich zu warnen, denn ich habe dich aufrichtig liebgewonnen, mein Freund.«
Was konnte ich daraus für mich entnehmen? In diesen Reden bekundete sich nur Besorgnis um mich, um mein materielles Schicksal; da sprach ein Vater seine prosaischen, wenn auch guten Gefühle aus, aber war es etwa das, was ich im Hinblick auf die Ideen brauchte, für die jeder ehrenhafte Vater seinen Sohn sogar in den Tod schicken müßte, wie es im Altertum Horaz mit seinen Söhnen für die Idee Roms tat?
Ich setzte ihm auch oft mit Fragen über die Religion zu, aber hier war der Nebel am allerschlimmsten. Auf die Frage, was ich in der Hinsicht tun müsse, antwortete er mir in der dümmsten Weise wie einem kleinen Jungen: »Man muß an Gott glauben, mein Lieber.«
»Na, aber wenn ich das alles nicht glaube?« rief ich einmal in gereiztem Ton.
»Nun, das ist ja wunderschön, mein Lieber.«
»Wieso wunderschön?«
»Das ist das allerbeste Zeichen, mein Freund, sogar das zuverlässigste, weil unser russischer Atheist, wenn er nur in Wahrheit Atheist ist und halbwegs Verstand besitzt, der beste Mensch auf der ganzen Welt ist und immer geneigt sein wird, Gott freundlich zu behandeln, weil er unbedingt gutherzig ist und gutherzig deswegen, weil er maßlos damit zufrieden ist, daß er – ein Atheist ist. Unsere Atheisten sind achtenswerte Leute und im höchsten Grade zuverlässig, sozusagen die Stützen des Vaterlandes ...«
Das war ja freilich etwas, aber ich hatte etwas anderes gewollt; nur einmal ging er tiefer auf die Sache ein, aber in so sonderbarer Weise, daß er mich in das größte Erstaunen versetzte, besonders wenn ich an das dachte, was ich über seinen Übertritt zum Katholizismus und über seine Büßerketten gehört hatte.
»Mein Lieber«, sagte er einmal zu mir, nicht in meiner Wohnung, sondern auf der Straße, nach einem langen Gespräch; ich begleitete ihn. »Mein Freund, die Menschen so zu lieben, wie sie sind, das ist unmöglich. Und doch soll man sie lieben. Darum tue ihnen Gutes, unterdrücke deine Gefühle, halte dir die Nase zu und schließe die Augen (letzteres ist unbedingt nötig). Ertrage Böses von ihnen, nach Möglichkeit ohne dich über sie zu ärgern, eingedenk, daß auch du ein Mensch bist. Selbstverständlich bist du dazu berufen, streng zu ihnen zu sein, wenn du nur ein bißchen klüger bist als der Durchschnitt. Die Menschen sind von Natur niedrig und lieben gern aus Furcht; geh du auf eine solche Liebe nicht ein und höre nicht auf, ihnen gegenüber Verachtung zu empfinden. Allah befiehlt irgendwo im Koran dem Propheten, er solle die »Störrischen« wie Mäuse betrachten, ihnen Gutes tun und an ihnen vorübergehen – das klingt etwas stolz, ist aber das Richtige. Verstehe es, sie sogar dann zu verachten, wenn sie gut sind, denn gerade dann sind sie am häufigsten garstig. O mein Lieber, wenn ich das sage, so urteile ich nach mir selbst! Wer auch nur ein bißchen Verstand besitzt, der kann nicht leben, ohne sich zu verachten; ob er ehrenhaft ist oder nicht, das macht dabei nichts aus. Seinen Nächsten zu lieben, ohne ihn zu verachten, das ist unmöglich. Meiner Ansicht nach ist der Mensch mit der physischen Unmöglichkeit, seinen Nächstenzu lieben, geschaffen. Es steckt da gleich von Anfang an ein Fehler in den Ausdrücken, und unter »Liebe zur Menschheit« kann man nur die Liebe zu derjenigen Menschheit verstehen, die man selbst in seiner Seele geschaffen hat (mit anderen Worten: man hat sich selbst geschaffen, und die Liebe ist eine Liebe zu sich selbst) und die daher niemals in Wirklichkeit existieren wird.«
»Sie wird nie existieren?«
»Mein Freund, ich gebe zu,
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