Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
ich wiederhole es –, über eine Frau darf man einem Dritten nichts mitteilen; ein Vertrauter wird das, was man ihm sagt, doch nicht verstehen. Selbst ein Engel würde es nicht verstehen. Wenn man eine Frau achtet, so soll man sich keinen Vertrauten anschaffen, und wenn man sich selbst achtet, so soll man es ebenfalls nicht tun! Ich achte mich selbst jetzt nicht. Auf Wiedersehen, ich kann es mir nicht verzeihen...«
    »Hör auf, mein Lieber, du übertreibst. Du sagst ja selbst, daß ›nichts gewesen ist‹.«
    Wir traten auf die Kanalstraße hinaus und schickten uns an, voneinander Abschied zu nehmen.
    »Wirst du mich denn niemals herzlich und kindlich küssen, wie ein Sohn seinen Vater küßt?« fragte er, und seine Stimme bebte dabei eigentümlich. Ich küßte ihn mit heißer Empfindung.
    »Mein lieber Junge ... bleib immer so reinen Herzens, wie du jetzt bist!«
    Ich hatte ihn noch nie in meinem Leben geküßt und war nie auf den Gedanken gekommen, daß er selbst einen solchen Wunsch haben könne.

Sechstes Kapitel
     
I
     
    ›Natürlich fahre ich hin!‹ beschloß ich, während ich eilig nach Hause ging. ›Sofort fahre ich hin! Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich sie allein zu Hause treffe; aber ob ich sie nun allein treffe oder jemand bei ihr ist – das ist ganz egal: ich kann sie herausrufen lassen. Sie wird mich empfangen; sie wird sich wundern, aber mich empfangen. Und wenn sie mich nicht empfangen sollte, so werde ich darauf bestehen, daß sie mich empfängt; ich werde sagen lassen, es sei dringend notwendig. Sie wird glauben, es sei etwas wegen des Schriftstücks, und wird mich empfangen. Und ich werde erfahren, wie sich die Geschichte mit Tatjana verhält. Und dann ... ja, was dann? Wenn ich ihr unrechtgetan habe, so werde ich es durch verdoppelte Ergebenheit wieder gutmachen; wenn ich aber im Recht bin und sie schuldig ist, dann ist alles zu Ende! Dann ist auf jeden Fall alles zu Ende! Was habe ich dann noch zu verlieren? Ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich fahre hin! Ich fahre hin!‹
    Und dennoch ... Ich werde es nie vergessen und mich immer mit Stolz daran erinnern, daß ich nicht hinfuhr! Niemand wird es erfahren, es wird mit mir begraben werden; es genügt, daß ich selbst es weiß und daß ich in einem solchen Augenblick eines so edlen Verhaltens fähig war! ›Es ist eine Versuchung, aber ich werde ihr nicht unterliegen‹, sagte ich mir schließlich, nachdem ich zu ruhiger Überlegung gekommen war. ›Man hat mich durch eine angebliche Tatsache in Schrecken setzen wollen, aber ich habe nicht daran geglaubt, habe den Glauben an ihre Reinheit nicht verloren! Und zu welchem Zweck sollte ich hinfahren, wonach sollte ich mich erkundigen? Ist sie etwa verpflichtet, so unbedingt an mich, an meine »Reinheit« zu glauben, wie ich an sie glaube? Darf sie sich nicht vor meinem »heißen Blut« fürchten und sich durch Tatjana Pawlownas Anwesenheit sichern? Ich habe mir in ihren Augen noch kein unbeschränktes Vertrauen verdient. Mag sie meinetwegen in Unkenntnis darüber bleiben, daß ich es doch verdiene, daß ich mich durch »Versuchungen« nicht verlocken lasse, daß ich böswilligen Verleumdungen über sie keinen Glauben schenke: dafür weiß ich es selbst und werde mich deswegen hochachten. Ich werde mein Gefühl hochachten. O ja, sie hat es so eingerichtet, daß ich das alles vor Tatjanas Ohren aussprach, sie hat Tatjana Zeugin sein lassen, sie wußte, daß Tatjana dasaß und horchte (denn die mußte einfach horchen); sie wußte, daß sie über mich lachte – es ist furchtbar, furchtbar! Aber ... aber – wenn es ihr unmöglich war, das zu vermeiden? Was konnte sie denn in der Lage von vorhin sonst tun, und wie kann ich sie deswegen anklagen? Ich habe sie ja heute selbst mit dem, was ich zu ihr über Krafft sagte, belogen; ich habe sie ja auch meinerseits betrogen, weil es mir ebenfalls unmöglich war, das zu vermeiden, und ich habe unfreiwillig und unschuldigerweise gelogen.‹ »Mein Gott!« rief ich plötzlich, qualvoll errötend,»und was habe ich selbst, ich selbst soeben getan? Habe ich nicht eben dieser Tatjana gegenüber mich gerühmt, daß sie mir ihre Liebe gestanden habe, und habe ich nicht soeben alles Wersilow erzählt? Aber was rede ich? Da ist doch ein großer Unterschied. Hier handelte es sich nur um das Schriftstück; in Wirklichkeit habe ich Wersilow nur von dem Schriftstück Mitteilung gemacht, denn weiter hatte ich gar nichts mitzuteilen und konnte auch gar nichts

Weitere Kostenlose Bücher