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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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›Hundert Rubel.‹ – ›Braten und auftragen!‹ Sie wurde gebraten und aufgetragen. ›Schneide mir für zehn Kopeken ab!‹ Ich habe diese Geschichte einmal Pjotr Ippolitowitsch erzählt; aber er glaubte sie nicht und war sogar entrüstet darüber ...«
    Er erzählte noch vieles. Ich führe diese Bruchstücke nur als Proben an. Er unterbrach mich fortwährend, sowie ich nur den Mund öffnete, um meine Erzählung zu beginnen,und fing irgendwelches wunderliches, gar nicht dahingehöriges Zeug zu reden an; er redete lebhaft und vergnügt, lachte Gott weiß worüber und kicherte sogar, was ich bei ihm noch nie erlebt hatte. Er trank ein Glas Tee in einem Zuge aus und goß sich ein neues ein. Jetzt ist mir das verständlich: er glich damals einem Menschen, der einen wertvollen, interessanten, lange erwarteten Brief erhalten hat und nun vor sich hinlegt und absichtlich nicht öffnet, sondern vielmehr lange in den Händen hin und her dreht, das Kuvert und das Siegel betrachtet, ins Nebenzimmer geht, um etwas zu besorgen, kurz, den interessanten Augenblick hinausschiebt, weil er weiß, daß er ihm nicht mehr entgehen kann, und alles das, um den Genuß noch zu steigern.
    Ich erzählte ihm natürlich alles, alles von Anfang an, und erzählte vielleicht eine Stunde lang. Und wie hätte es auch anders sein können; ich hatte schon vorher von Begierde zu reden gebrannt. Ich begann mit unserer allerersten Begegnung, damals beim alten Fürsten nach ihrer Ankunft aus Moskau; dann erzählte ich, wie das alles Schritt für Schritt weitergegangen war. Ich ließ nichts weg und konnte auch nichts weglassen; er selbst führte mich auf vieles hin, erriet vieles und sprang mit ein. Manchmal schien es mir, als gehe etwas Phantastisches vor, als habe er jedesmal während dieser ganzen zwei Monate dort irgendwo hinter der Tür gesessen oder gestanden: er wußte jede meiner Gebärden, jedes meiner Gefühle im voraus. Ich empfand einen unbeschreiblichen Genuß bei dieser Beichte, die ich ihm ablegte, denn ich gewahrte bei ihm eine so herzliche Milde, ein so feines psychologisches Verständnis, eine so erstaunliche Fähigkeit, aus einem Viertelwort alles zu erraten. Er hörte mit zarter Teilnahme zu wie eine Frau. Vor allen Dingen verstand er es so einzurichten, daß ich mich über nichts schämte; manchmal hielt er mich bei irgendeiner Einzelheit fest, oft unterbrach er mich und wiederholte nervös: »Vergiß die Einzelheiten nicht, vor allen Dingen vergiß nicht die Einzelheiten: je kleiner ein Nebenumstand ist, um so wichtiger ist er mitunter.« In dieser Weise unterbrach er mich mehrere Male: Oh, selbstverständlich redete ich anfänglich sehr von oben herab, alsstünde ich hoch über ihr, aber bald wurde meine Darstellung wahrheitsgemäß. Ich erzählte ihm aufrichtig, daß ich nahe daran gewesen war, mich hinzuwerfen und die Stelle des Fußbodens zu küssen, wo ihr Fuß gestanden hatte. Das Schönste, Prächtigste war, daß er vollkommenes Verständnis dafür aufbrachte, daß sie unter der Angst wegen jenes Schriftstückes leiden und gleichzeitig doch das sittlich reine, untadelige Wesen bleiben konnte, als das sie sich mir heute gezeigt hatte. Ebenso hatte er vollkommenes Verständnis für den Ausdruck »Student«. Aber als ich schon ziemlich an das Ende meines Berichts gelangt war, bemerkte ich, daß durch sein gutherziges Lächeln von Zeit zu Zeit eine starke Ungeduld, eine gewisse Zerstreutheit und Nervosität in seinem Blick durchschimmerte. Als ich bei dem Schriftstück angelangt war, überlegte ich mir im stillen, ob ich ihm die ganze Wahrheit sagen sollte oder nicht, und ich sagte sie ihm nicht, trotz all meiner Begeisterung. Das notiere ich hier zur Erinnerung für mein ganzes Leben. Ich setzte ihm die Sache ebenso auseinander wie ihr, das heißt, indem ich von Krafft erzählte. Seine Augen begannen zu glühen; eine sonderbare Falte bildete sich vorübergehend auf seiner Stirn, eine sehr finstere Falte.
    »Was diesen Brief betrifft, erinnerst du dich auch ganz genau, mein Lieber, daß Krafft ihn an der Kerze verbrannt hat? Irrst du dich da nicht?«
    »Nein, ich irre mich nicht«, versicherte ich.
    »Die Sache ist die, daß dieses Schriftstück für sie von größter Wichtigkeit ist, und wenn du es heute in Händen hättest, so könntest du heute ...« (Aber was ich »könnte«, das sagte er nicht mehr.) »Also wie ist's? Hast du es jetzt nicht in Händen?«
    Innerlich fuhr ich heftig zusammen, aber äußerlich nicht.

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