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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Ausdruck verlieh, und es war mir auch sogar schon einmal der Gedanke gekommen, daß sie nicht gerade lange um ihre Olga getrauert habe. Aber diesmal tat sie mir, ich weiß nicht warum, leid.
    Und siehe da, auf einmal beugte sie sich, ohne ein Wort zu sagen, vor, senkte den Kopf herab, streckte beide Arme vor, faßte mich um die Taille und legte ihr Gesicht auf meine Knie. Sie ergriff meine Hand, so daß ich glaubte, sie wolle sie küssen, aber sie führte sie an ihre Augen, und ein Strom heißer Tränen ergoß sich über sie. Ihr ganzer Leib wurde von dem Schluchzen erschüttert, aber sie weinte still. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, obwohl ich gleichzeitig eine Art von Ärger verspürte. Aber sie umschlang mich ganz vertrauensvoll, ohne irgendwie zu fürchten, daß ich darüber böse werden könnte, obgleich sie mich den Augenblick vorher so ängstlich und sklavisch angelächelt hatte. Ich bat sie, sich zu beruhigen.
    »Väterchen, Täubchen, ich weiß gar nicht mehr, was ich machen soll. Wenn es dämmrig wird, kann ich es nicht mehr aushalten; wenn es dämmrig wird, kann ich es gar nicht mehr aushalten: es treibt mich auf die Straße, in die Dunkelheit hinaus. Und was mich hinaustreibt, das ist eine seltsame Vorstellung. Es hat sich in meinem Kopf so eine Vorstellung festgesetzt, daß ich – sobald ich hinauskomme, sie auf einmal auf der Straße treffen werde. Ich gehe so dahin und meine sie zu sehen. Das heißt, es sind andere Leute, die da gehen, aber ich gehe mit Absicht hinter ihnen her und denke: ›Ist sie das nicht? Ist das nicht meine Olga?‹ Und so denke ich und denke ich immerzu. Und zuletzt werde ich ganz dumm im Kopf; und ich stoßeimmer gegen die Leute: ganz übel wird mir dabei. Wie eine Betrunkene torkele ich, und manche schimpfen über mich. Ich lebe schon ganz zurückgezogen und gehe zu keinem Menschen. Denn wohin ich auch komme – es wird mir nur noch schlechter. Da kam ich nun eben an Ihrem Hause vorbei und dachte: ›Ich will zu ihm gehen; er ist von allen der Beste und war auch damals mit dabei.‹ Väterchen, verzeihen Sie mir armem Weib; ich gehe gleich wieder weg ...«
    Sie stand plötzlich auf und wollte eilig fort. In diesem Augenblick kam gerade Matwej; ich ließ sie zu mir in den Schlitten steigen und brachte sie unterwegs zu ihrem Haus, zur Wohnung der Frau Stolbejewa.

II
     
    In der letzten Zeit hatte ich häufig den Roulett-Spielsaal eines Herrn Serschtschikow besucht. Vorher hatte ich drei andere Häuser besucht, immer mit dem Fürsten zusammen, der mich dort eingeführt hatte. In einem dieser Häuser wurde besonders Pharo gespielt, und zwar mit sehr hohen Einsätzen. Aber dort hatte ich mich nicht wohl gefühlt: ich sah, daß es da nur für solche Leute angenehm war, die über sehr viel Geld verfügten, und daß überdies dort sehr viele hochmütige Menschen und Angehörige der protzigen Jugend aus den höchsten Kreisen zu verkehren pflegten. Gerade das liebte der Fürst; er liebte sowohl das Spiel als auch den Umgang mit dieser übermütigen Clique. Ich bemerkte, daß er an diesen Abenden, wenn er auch manchmal mit mir zusammen eintrat, doch im Laufe des Abends sich von mir fernhielt und mich mit niemandem von »seinen Leuten« bekannt machte. Ich aber machte ganz den Eindruck eines Wilden, und mitunter sogar in einem solchen Maße, daß ich dadurch die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich zog. Am Spieltisch ergab es sich manchmal so, daß ich mit diesem oder jenem ins Gespräch kam; aber als ich einmal am nächsten Tag in denselben Räumen ein Herrchen zu begrüßen versuchte, mit dem ich am vorhergehenden Abend nicht nur geredet, sondern neben dem ich auch gesessen, mit dem ich gelacht und dem ich sogarzwei Karten empfohlen hatte, auf die er dann gewann: da – sollte man's glauben? – erkannte er mich gar nicht wieder. Das heißt, es war noch schlimmer: er blickte mich mit gekünstelter Verwunderung an und ging lächelnd vorüber. So blieb ich denn bald dort fort und besuchte mit besonderer Leidenschaft eine Kloake – anders kann ich es nicht nennen. Es war ein ziemlich unbedeutender, kleiner Roulettzirkel, den eine Mätresse unterhielt, obgleich sie selbst nie im Saal erschien. Es herrschte dort ein schrecklich ungenierter Ton, und obgleich auch Offiziere und reiche Kaufleute dort verkehrten, ging doch alles recht schmierig zu, was übrigens auf viele Leute sogar anziehend wirkte. Außerdem hatte ich dort oft Glück im Spiel. Aber auch den Besuch dieses Lokals

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