Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
du mich schon damals betrogen! Da lag der Grund nicht in meiner Dummheit, Lisa, sondern eher in meinem Egoismus, nicht in der Dummheit, sondern in dem Egoismus meines Herzens und – vielleicht in meinem Glauben an Heiligkeit. Oh, ich war immer der festen Überzeugung, daß ihr alle unendlich hoch über mir stündet, und nun! Und nun zuletzt, gestern, im Zeitraum eines Tages, fand ich trotz aller Andeutungen keine Zeit, es mir zurechtzulegen ... Und ich war auch gestern mit ganz anderen Dingen beschäftigt!«
    In diesem Augenblick mußte ich auf einmal an Katerina Nikolajewna denken und fühlte wieder einen schmerzhaften Stich wie von einer Nadel im Herzen und errötete über das ganze Gesicht. Natürlich konnte ich in einem solchen Augenblick nicht gut und freundlich sein.
    »Aber weswegen rechtfertigst du dich denn? Mir scheint, Arkadij, du suchst dich wegen irgend etwas zu rechtfertigen, also weswegen denn?« fragte Lisa leise und sanft, aber in sehr festem, sicherem Ton.
    »Weswegen, weswegen! Ja, was soll ich jetzt tun? Siehst du, das ist die Frage! Und du sagst: ›Weswegen denn?‹ Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll! Ich weiß nicht, wie sich ein Bruder in solchen Fällen verhält ... Ich weiß, daß man so einen mit der Pistole in der Hand zum Heiraten zwingt ... Ich werde handeln, wie ein ehrenhafter Mann handeln muß. Aber wie ein ehrenhafter Mann in solcherLage handeln muß, das weiß ich eben nicht! ... Warum weiß ich das nicht? Weil wir nicht adlig sind; er aber ist ein Fürst, er macht dort seine Karriere; er wird uns, wenn wir auch ehrenhafte Leute sind, gar nicht anhören. Und du und ich, wir sind nicht einmal richtige Geschwister, sondern illegitime Kinder, ohne Familienzugehörigkeit, Kinder eines Gutsknechtes; und heiraten denn etwa die Fürsten Mädchen aus dem Gutsgesinde? O welche Gemeinheit! Und da sitzt du nun und wunderst dich über mich!«
    »Ich glaube, daß du Qualen leidest«, sagte Lisa und errötete dabei von neuem, »aber du übereilst dich damit und quälst dich selbst.«
    »Ich übereile mich? Aber bin ich denn deiner Ansicht nach nicht schon viel zu spät gekommen? Wie kannst du, Lisa, so zu mir reden?« rief ich heftig, nun endlich aufs höchste entrüstet. »Und wieviel Schmach habe ich ertragen, und wie muß mich dieser Fürst verachtet haben! Oh, jetzt ist mir alles klar, und die ganze Situation steht mir deutlich vor Augen: er war fest davon überzeugt, daß ich schon längst sein Verhältnis mit dir durchschaut hätte, aber absichtlich schwiege oder sogar die Nase hoch trüge und auf diese ›Ehre‹ stolz sei – selbst das konnte er von mir denken! Und daß ich mir für meine Schwester, für die Schande meiner Schwester Geld geben ließe! Das mit anzusehen war ihm ekelhaft, und ich gebe ihm darin vollkommen recht. Ich gebe ihm darin recht: alle Tage einen Schuft bei sich zu sehen und ihn zu empfangen, weil er ihr Bruder ist, und ihn dann noch von Ehre reden zu hören ... das ist eine Qual für ein Herz, selbst für ein Herz wie das seinige! Und du hast das alles geschehen lassen, du hast mich nicht gewarnt! Er hat mich dermaßen verachtet, daß er mit einem Menschen wie Stebelkow über mich gesprochen und mir selbst gestern gesagt hat, er habe mir und Wersilow schon sein Haus verbieten wollen. Und nun dieser Stebelkow! ›Anna Andrejewna‹, sagte er, ›ist ja ebensogut Ihre Schwester wie Lisaweta Makarowna‹, und dann rief er mir noch nach: ›Mein Geld ist besser.‹ Und ich, ich rekelte mich bei ihm unverschämt auf den Sofas umher und ging mit seinen Bekannten um, als ob ich ihresgleichen wäre, hole sie alle der Teufel! Und du hast das alles geschehen lassen! Am Ende weiß auchDarsan schon davon; wenigstens kann man das nach seinem Ton von gestern abend glauben ... Alle, alle wissen es, nur ich nicht!«
    »Niemand weiß etwas; keinem seiner Bekannten hat er es gesagt, und er konnte es auch keinem sagen«, unterbrach mich Lisa, »und über diesen Stebelkow weiß ich nur, daß Stebelkow ihn peinigt und sich dies vielleicht nur kombiniert hat... Über dich aber habe ich mehrere Male mit ihm gesprochen, und er hat meiner Versicherung völlig geglaubt, daß dir nichts bekannt ist, und ich weiß jetzt nur nicht, warum und wie es gestern zwischen euch zu einer Szene gekommen ist.«
    »Oh, wenigstens habe ich ihm gestern meine Schuld zurückgezahlt, so daß ich diese Last vom Herzen los bin! Lisa, weiß es Mama? Aber wie sollte sie es nicht wissen: ich weiß ja,

Weitere Kostenlose Bücher