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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wie sie gestern aufstand und mir drohte!... Ach, Lisa! Glaubst du denn wirklich, in jeder Hinsicht recht gehandelt zu haben, hältst du dich nicht im geringsten für schuldig? Ich weiß nicht, wie man heutzutage über dergleichen urteilt und was du darüber für eine Anschauung hast, ich meine in bezug auf deine Mutter, deinen Bruder, deinen Vater... Weiß es Wersilow?«
    »Mama hat ihm nichts gesagt; er fragt nicht; gewiß will er nicht fragen.«
    »Er weiß es, aber er will es nicht wissen; so wird es sein, das sieht ihm ähnlich! Na, magst du immerhin über die Rolle lachen, die dein Bruder, dein dummer Bruder spielt, wenn er von Pistolen spricht, aber die Mutter, die Mutter! Hast du nicht bedacht, Lisa, daß das für Mama ein Vorwurf ist? Ich habe mich die ganze Nacht damit herumgequält; Mamas erster Gedanke muß doch gewesen sein: ›Das kommt daher, daß ich mich selbst vergangen habe; wie die Mutter, so die Tochter!‹«
    »Oh, wie böse und grausam ist das, was du da sagst!« rief Lisa, der die Tränen in die Augen traten. Sie stand auf und ging schnell zur Tür.
    »Bleib hier, bleib hier!« rief ich, legte den Arm um sie, nötigte sie wieder zum Sitzen und setzte mich neben sie, ohne den Arm wegzunehmen.
    »Ich habe es mir schon, als ich herkam, gedacht«, sagtesie, »daß alles so kommen würde und daß du von mir durchaus eine Selbstanklage verlangen würdest. Nun meinetwegen, dann will ich mich anklagen. Ich habe jetzt eben nur aus Stolz geschwiegen und nichts gesagt, aber du und Mama, ihr tut mir weit mehr leid als ich mir selbst ...« Sie sprach nicht zu Ende und brach plötzlich in heiße Tränen aus.
    »Hör auf, Lisa, du brauchst nicht zu weinen und dich nicht anzuklagen. Ich bin nicht dein Richter. Lisa, wie ist es mit Mama? Sag, weiß sie es schon lange?«
    »Ich glaube, daß sie es schon lange weiß; aber ich selbst habe es ihr erst kürzlich gesagt, als das eingetreten war«, sagte sie leise mit niedergeschlagenen Augen.
    »Und was hat sie gesagt?«
    »Sie sagte: ›Trage es!‹«, erwiderte Lisa noch leiser.
    »Ach, Lisa, ja, trage es! Tu dir nichts an! Davor bewahre dich Gott!«
    »Nein, ich werde mir nichts antun«, antwortete sie in festem Ton und hob die Augen wieder zu mir auf. »Darüber kannst du beruhigt sein«, fügte sie hinzu, »so steht die Sache gar nicht.«
    »Lisa, liebe Lisa, ich sehe nur, daß ich hiervon nichts verstehe, aber dafür habe ich jetzt erst erkannt, wie lieb ich dich habe. Nur eines begreife ich nicht, Lisa: alles ist mir ja klar, nur eines kann ich nicht begreifen: warum hast du ihn liebgewonnen? Wie konntest du einen solchen Menschen liebgewinnen? Das ist mir ein Rätsel!«
    »Und gewiß hast du dich auch damit die Nacht über herumgequält?« sagte Lisa mit einem leisen Lächeln.
    »Warte mal, Lisa, das war von mir eine dumme Frage, und du spottest darüber; spotte nur, aber man muß sich doch darüber wundern, du und er – ihr seid solche Gegensätze! Er – ich habe ja seinen Charakter studiert –, er ist finster und mißtrauisch; vielleicht hat er ein gutes Herz, mag sein, aber dafür ist er im höchsten Grade dazu geneigt, in allem zunächst das Schlechte zu sehen (darin ist er übrigens ganz wie ich!). Er hat eine leidenschaftliche Hochachtung vor edler Denkweise – das gebe ich zu, das sehe ich; aber ich glaube, das ist bei ihm doch nur so ein Ideal. Oh, er neigt zum Bereuen; er verflucht sich selbst ununterbrochen,sein ganzes Leben lang, und bereut, was er getan hat, aber dabei bessert er sich nie; übrigens macht er es auch in dieser Hinsicht vielleicht ebenso wie ich. Er hat tausend Vorurteile und falsche Ideen – und doch keine einzige Idee! Er möchte eine große Tat ausführen und treibt kleinlichen Unfug. Verzeih mir, Lisa, ich benehme mich wie ein Dummkopf: ich kränke dich durch diese Reden und weiß das; ich verstehe das ...«
    »Das Porträt, das du da von ihm entwirfst, könnte richtig sein«, erwiderte Lisa lächelnd, »aber du bist meinetwegen zu sehr gegen ihn aufgebracht, und darum ist doch wieder nichts daran richtig. Er ist gleich von Anfang an gegen dich mißtrauisch gewesen, und so hast du ihn denn nie richtig sehen können; mir gegenüber aber hat er sich schon in Luga ganz offen benommen ... Er hatte für nichts Augen als für mich, schon in Luga. Ja, er ist mißtrauisch und nervös, und ohne mich hätte er den Verstand verloren, und wenn er mich verläßt, so wird er den Verstand verlieren oder sich erschießen; ich glaube, er

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