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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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hat das selbst eingesehen und weiß es«, fügte Lisa hinzu, als spräche sie nur für sich und wie in Gedanken versunken. »Ja, er ist dauernd schwach, aber solche schwachen Menschen sind manchmal auch zu einer außerordentlich starken Tat fähig ... Wie sonderbar war das, was du von der Pistole sagtest, Arkadij: dergleichen ist hier nicht erforderlich, und ich weiß selbst ganz genau, welchen Verlauf die Sache nehmen wird. Nicht ich laufe ihm nach, sondern er mir. Mama weint und sagt: ›Wenn du ihn heiratest, wirst du unglücklich werden; er wird dann aufhören, dich zu lieben.‹ Ich glaube das nicht; unglücklich werde ich vielleicht werden, aber mich zu lieben, wird er nicht aufhören. Wenn ich ihm bisher immer mein Jawort verweigert habe, so war nicht dies der Grund, sondern etwas anderes. Ich verweigere ihm schon zwei Monate lang mein Jawort; aber heute habe ich zu ihm gesagt: › Ja, ich werde dich heiraten.‹ Arkascha, weißt du, er ist gestern« (ihre Augen glänzten, und sie umschlang auf einmal mit beiden Armen meinen Hals), »er ist gestern zu Anna Andrejewna gefahren und hat ihr geradeheraus mit aller Offenheit gesagt, er könne sie nicht lieben ... Ja, er hat sich ihr gegenüber vollständig ausgesprochen, und dieses Projektist jetzt abgetan! Er hat sich an diesem Projekt nie beteiligt; das war nur so eine Idee des Fürsten Nikolai Iwanowitsch, und diese Quälgeister, Stebelkow und noch ein anderer, wollten ihn dazu drängen ... Siehst du, und zum Lohn dafür habe ich heute zu ihm ja gesagt. Lieber Arkadij, er läßt dich sehr bitten, zu ihm zu kommen, und sei du ihm wegen seines gestrigen Benehmens nicht böse: er ist heute nicht recht wohl und bleibt den ganzen Tag zu Hause. Er ist wirklich krank, Arkadij: glaube nicht, daß er das nur vorschützt. Er hat mich eigens hergeschickt und mich gebeten, dir zu bestellen, daß ihn nach dir ›verlange‹ und er dir vieles mitzuteilen habe; bei dir hier aber, in deiner Wohnung, ginge das nicht recht. Nun lebe wohl! Ach, Arkadij, ich schäme mich, es zu sagen, aber auf dem Herweg habe ich schreckliche Angst gehabt, du hättest mich vielleicht nicht mehr lieb; ich habe mich unterwegs in einem fort bekreuzigt, aber du bist so lieb und so gut! Ich werde dir das nie vergessen! Jetzt muß ich zu Mama. Und du hab ihn wenigstens ein bißchen lieb, ja?«
    Ich umarmte sie herzlich und sagte zu ihr:
    »Ich glaube, Lisa; daß du ein starker Charakter bist. Ja, ich glaube, daß nicht du ihm nachläufst, sondern er dir, aber dennoch ...«
    »Aber dennoch: ›Warum hast du ihn liebgewonnen? Das ist mir ein Rätsel!‹«, fiel sie ein und lächelte plötzlich schelmisch wie in früheren Zeiten. Lisa hatte die Worte: »Das ist mir ein Rätsel!« genauso ausgesprochen wie ich und dabei ganz so, wie ich es bei diesem Satz mache, den Zeigefinger vor die Augen erhoben. Wir küßten uns zum Abschied; aber als sie weggegangen war, befiel mich doch wieder eine heftige Herzbeklemmung.

II
     
    Ich notiere hier nur für mich: es gab nach Lisas Weggehen Augenblicke, wo die unerwartetsten Gedanken mir scharenweise durch den Kopf zogen und ich mit ihnen sogar sehr zufrieden war. ›Na, warum rege ich mich so auf‹, dachte ich, ›was kümmert's mich? So oder fast so geht es ja doch bei allen. Was hat denn das, was Lisa passiert ist, groß zubedeuten? Und ich, bin ich denn verpflichtet, »die Ehre der Familie zu retten«?‹ Ich notiere alle diese Gemeinheiten, um zu zeigen, wie wenig gefestigt meine Begriffe von Gut und Böse noch waren. Was mich rettete, war nur mein Gefühl: ich wußte, daß Lisa unglücklich war und daß Mama unglücklich war, und ich wußte das durch mein Gefühl, wenn ich an sie beide dachte, und daher fühlte ich auch, daß alles, was da geschehen war, nicht gut sein konnte.
    Jetzt schicke ich voraus, daß die Ereignisse von diesem Tag an bis zur Katastrophe meiner Erkrankung einander mit solcher Schnelligkeit folgten, daß es mir jetzt bei der Rückerinnerung sogar selbst wunderbar vorkommt, wie ich ihnen habe standhalten können und vom Schicksal nicht erdrückt worden bin. Sie nahmen meinem Verstand und sogar meinem Gefühl die Kraft, und wenn ich schließlich unterlegen wäre und ein Verbrechen begangen hätte (und ich war nahe genug daran, das zu tun), so wäre es sehr möglich gewesen, daß die Geschworenen mich freigesprochen hätten. Aber ich will mir Mühe geben, alles in strenger Ordnung aufzuzeichnen, obgleich ich vorausschicken muß, daß damals in

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