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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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meinem Verstand, der so lange geschlafen hatte! Hätte man mir diese Mitteilung schon vorher gemacht und mich gefragt, was ich mit dem Fürsten in diesem Augenblick anfangen würde, so hätte ich sicherlich geantwortet, ich würde ihn in Stücke reißen. Aber es geschah etwas ganz anderes, und zwar ganz gegen meinen Willen: ich verbarg auf einmal das Gesicht in meine beiden Hände und weinte und schluchzte bitterlich. Das geschah ganz von selbst! In dem jungen Mann kam plötzlich das kleine Kind zum Vorschein. Meine Seele war also damals noch zur vollen Hälfte die eines kleinen Kindes. Ich fiel wieder auf das Sofa zurück und rief schluchzend: »Lisa, Lisa, du Arme, Unglückliche!« Da glaubte der Fürst auf einmal vollständig an meine Aufrichtigkeit.
    »Mein Gott, wie sehr habe ich Ihnen unrecht getan!« rief er in tiefem Schmerz. »Oh, wie häßlich habe ich von Ihnen in meinem Mißtrauen gedacht ... Verzeihen Sie mir, Arkadij Makarowitsch!«
    Ich sprang auf, wollte ihm etwas sagen und trat vor ihn hin, aber ich sagte nichts, sondern lief aus dem Zimmer und aus der Wohnung. Ich schleppte mich zu Fuß nach Haus und kann mich kaum erinnern, wie ich hinkam. Ich warf mich im Dunkeln auf mein Bett, mit dem Gesicht auf das Kissen, und überließ mich meinen Gedanken. In solchen Augenblicken kann man nie klar und folgerichtig denken. Mein Verstand und meine Einbildungskraft hatten sich gleichsam von dem leitenden Faden losgemacht, und ich gab mich sogar Träumereien über ganz nebensächliche, fremdartige Dinge hin. Aber Kummer und Leid brachten sich schnell wieder durch ein dumpfes Gefühl des Schmerzes in Erinnerung, und ich rang wieder die Hände und rief: »Lisa, Lisa!« und weinte wieder. Ich entsinne mich nicht, wie ich einschlief, aber ich schlief fest und süß.

Siebentes Kapitel
     
I
     
    Ich erwachte am Morgen gegen acht Uhr, schloß sogleich meine Tür zu, setzte mich ans Fenster und begann nachzudenken. So saß ich bis zehn Uhr. Das Dienstmädchen klopfte zweimal bei mir an, aber ich jagte sie fort. Schließlich, es war schon zwischen zehn und elf, klopfte es wieder. Ich wollte schon wieder schreien, aber es war Lisa. Mit ihr zugleich kam auch das Dienstmädchen herein, brachte mir den Kaffee und machte sich daran, den Ofen zu heizen. Das Dienstmädchen wieder hinauszuschicken, war unmöglich, und die ganze Zeit über, während Fjokla Holz einlegte und das Feuer anblies, ging ich mit großen Schritten in meinem kleinen Zimmer auf und ab, ohne ein Gespräch mit Lisa zu beginnen; ja ich gab mir sogar Mühe, sie nicht anzusehen. Das Dienstmädchen verrichtete seine Arbeit mit einer unsäglichen Langsamkeit, und zwar absichtlich, wie das alle Dienstmädchen in solchen Fällen tun, wenn sie merken, daß ihre Anwesenheit die Herrschaften hindert, miteinander zu sprechen. Lisa hatte sich am Fenster auf einen Stuhl gesetzt und folgte mir mit den Augen.
    »Dein Kaffee wird kalt«, sagte sie plötzlich.
    Ich sah sie an: ihr Gesicht zeigte nicht die geringste Verlegenheit, sondern vollkommene Ruhe, und auf ihren Lippen lag sogar ein Lächeln.
    »Ja, so sind die Weiber!« rief ich unwillkürlich und zuckte die Achseln.
    Endlich hatte das Dienstmädchen den Ofen angeheizt und wollte nun anfangen, das Zimmer aufzuräumen, aber ich jagte sie ärgerlich hinaus und schloß hinter ihr die Tür zu.
    »Sag mir bitte, warum hast du die Tür wieder zugeschlossen?« fragte Lisa.
    Ich trat vor sie hin.
    »Lisa, wie konnte ich denken, daß du mich so betrügen würdest!« rief ich auf einmal, ohne diesen Anfang irgendwie überlegt zu haben, und diesmal kamen mir nicht die Tränen in die Augen, sondern es war beinahe ein boshaftes Gefühl, das mir, für mich selbst völlig unerwartet, einenStich ins Herz gab. Lisa errötete, antwortete aber nicht; sie fuhr nur fort, mir gerade ins Gesicht zu sehen.
    »Ach, Lisa, ach, wie dumm ich war! Aber war ich denn dumm? Alle Anzeichen haben sich erst gestern auf einen Punkt vereinigt, und wie hätte ich vorher darauf kommen können? Etwa dadurch, daß du häufig Frau Stolbejewa und diese ... Darja Onissimowna besuchtest? Aber ich hielt dich für eine Sonne, Lisa, und wie hätte mir so etwas in den Kopf kommen können? Erinnerst du dich, wie ich dich damals, vor zwei Monaten, in seiner Wohnung traf und wie wir beide, du und ich, dann zusammen im Sonnenschein gingen und so fröhlich waren ... War es denn damals schon geschehen? Ja?«
    Sie antwortete mit einem bejahenden Kopfnicken.
    »Also hast

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