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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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mir.
    »Wirklich? Ach, du armer Junge, wie leid du mir tust ... Also du bist dort ... aus–ge–lacht worden!«
    »Sie machen sich über mich lustig, Sie machen sich über mich lustig! Ihnen kommt das komisch vor!«
    Er riß schnell seine Hand aus der meinigen, setzte den Hut auf und verließ lachend, jetzt bereits richtig lachend, die Wohnung. Wozu sollte ich ihm nachlaufen? Was hätte das für einen Zweck gehabt? Ich hatte alles begriffen und – alles in einem einzigen Augenblick verloren! Auf einmalerblickte ich Mama; sie war von oben heruntergekommen und sah ängstlich umher.
    »Ist er weggegangen?«
    Ich umarmte sie schweigend, und sie schmiegte sich fest, ganz fest an mich.
    »Mama, liebe Mama, können Sie denn wirklich noch hierbleiben? Kommen Sie gleich mit fort, ich werde Sie beschützen, ich werde für Sie arbeiten wie ein Sträfling, für Sie und für Lisa ... Wir wollen uns von all diesen Menschen lossagen und weggehen. Wir wollen für uns allein leben. Mama, erinnern Sie sich noch, wie Sie mich bei Touchard besuchten und wie ich Sie nicht anerkennen wollte?«
    »Ich erinnere mich, lieber Sohn; ich werde mich mein ganzes Leben lang dir gegenüber schuldig fühlen; ich hatte dich geboren und kannte dich gar nicht.«
    »Er ist daran schuld, Mama; er ist an allem schuld; er hat Sie nie geliebt.«
    »Doch, er hat mich geliebt.«
    »Kommen Sie mit, Mama!«
    »Wohin soll ich von ihm weggehen? Er ist ja doch unglücklich, nicht wahr?«
    »Wo ist Lisa?«
    »Sie liegt; als sie nach Hause kam, fühlte sie sich nicht wohl; ich habe Angst um sie. Sind sie denn dort aufgebracht über ihn? Was werden sie jetzt mit ihm machen? Wo ist er hingegangen? Womit hat ihm dieser Offizier hier gedroht?«
    »Es wird ihm nichts passieren, Mama, ihm passiert nie etwas, ihm widerfährt nie etwas Schlimmes, das ist ganz unmöglich. Er ist nun einmal so ein Mensch! Da ist Tatjana Pawlowna, fragen Sie die, wenn Sie mir nicht glauben, da ist sie.« (Tatjana Pawlowna war plötzlich ins Zimmer getreten.) »Leben Sie wohl, Mama! Ich komme gleich wieder zu Ihnen, und wenn ich wiederkomme, werde ich Ihnen wieder dieselbe Frage vorlegen ...«
    Ich lief hinaus. Ich konnte keinen Menschen sehen; das betraf nicht nur Tatjana Pawlowna. Mamas Anblick war mir geradezu eine Qual. Ich wollte allein sein, ganz allein.

V
     
    Aber ich war noch nicht eine Straße entlanggegangen, als ich fühlte, daß ich nicht imstande war zu gehen, daß ich sinnlos gegen diese fremden, teilnahmslosen Menschen anrannte; aber wo sollte ich bleiben? Wer brauchte mich, und was brauchte ich jetzt? Mechanisch schleppte ich mich zum Fürsten Sergej Petrowitsch, ohne überhaupt an ihn zu denken. Er war nicht zu Hause. Ich sagte zu Pjotr (seinem Diener), ich wolle im Arbeitszimmer warten (wie ich es oftmals getan hatte). Das Arbeitszimmer war ein großer, sehr hoher Raum, der mit Möbeln sehr vollgestellt war. Ich ging in die dunkelste Ecke, ließ mich dort auf ein Sofa nieder, setzte die Ellbogen auf den Tisch und stützte den Kopf in beide Hände. Ja, nun war die Frage: »Was muß ich jetzt tun?« Wenn ich damals diese Frage auch hätte formulieren können, so wäre ich doch schlechterdings nicht imstande gewesen, sie zu beantworten.
    Aber ich konnte weder logisch denken noch mir klare Fragen vorlegen. Ich habe schon oben gesagt, daß ich am Ende dieser Tage von den Ereignissen fast erdrückt wurde; ich saß jetzt da, und alles drehte sich chaotisch in meinem Kopf herum. »Ja, ich habe sein ganzes Inneres gesehen und nichts davon verstanden« – dieser Gedanke schwebte mir ein paarmal vor. »Er hat mir eben ins Gesicht gelacht: aber er lachte nicht über mich; er dachte nur an Bjoring, nicht an mich. Vorgestern beim Mittagessen wußte er schon alles und war darum so finster. Er hörte meine dumme Beichte in der Kneipe an und entstellte alles auf Kosten der Wahrheit, aber was kümmerte ihn die Wahrheit? Er glaubt ja selbst kein Wort von dem, was er ihr geschrieben hat. Er wollte sie nur beleidigen, sinnlos beleidigen, ohne auch nur zu wissen, weswegen; er griff nach einem Vorwand, und den lieferte ich ihm ... Es war die Tat eines tollen Hundes! Will er etwa jetzt Bjoring töten? Warum? Sein Herz weiß warum! Ich aber weiß nichts davon, wie es in seinem Herzen aussieht ... Nein, nein, auch jetzt weiß ich es nicht. Liebt er sie wirklich so leidenschaftlich? Oder haßt er sie so leidenschaftlich? Ich weiß es nicht, aber weiß er es selbst? Was habe ich da zu Mama gesagt,

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