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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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daß ihm nichts Schlimmeswiderfahren kann, was habe ich damit sagen wollen? Habe ich ihn verloren oder habe ich ihn nicht verloren?
    ... Sie hat gesehen, wie ich gestoßen wurde ... Sie hat ebenfalls gelacht; oder hat sie es nicht getan? Ich würde gelacht haben! Ein Spion bekam Schläge, ein Spion! ...
    Was bedeutet das, ging es mir plötzlich durch den Kopf, was bedeutet das, daß er in diesem häßlichen Brief sagte, das Schriftstück sei überhaupt nicht verbrannt, sondern existiere noch? ...
    Er wird Bjoring nicht totschießen; sicherlich sitzt er jetzt in dem Lokal und hört die Lucia! Aber vielleicht geht er danach hin und schießt Bjoring tot. Bjoring hat mir einen Stoß versetzt, er hat mich beinahe geschlagen; hat er mich geschlagen? Bjoring hält es sogar für unter seiner Würde, sich mit Wersilow zu duellieren; wird er es da etwa mit mir wollen? Vielleicht wird es notwendig sein, daß ich morgen auf der Straße auf ihn warte und ihn mit dem Revolver niederschieße ... Diesen Gedanken verfolgte ich in meinem Innern ganz mechanisch, ohne im geringsten über ihn stutzig zu werden.
    Zeitweilig phantasierte ich davon, daß im nächsten Augenblick sich die Tür öffnen, Katerina Nikolajewna hereinkommen und mir die Hand reichen würde und daß wir dann beide in ein Gelächter ausbrechen würden ... ›O Student, du mein lieber Student!‹ Das war so ein unklarer Gedanke oder vielmehr ein sehnsüchtiger Wunsch von mir, als es im Zimmer schon sehr dunkel geworden war. »Ich habe doch erst ganz vor kurzem vor ihr gestanden und ihr Lebewohl gesagt, und sie hat mir die Hand gereicht und gelacht. Wie ist es möglich gewesen, daß wir in einer so kurzen Spanne Zeit so erschreckend weit auseinandergekommen sind? Ich sollte ganz einfach zu ihr hingehen und mich unverzüglich mit ihr aussprechen, augenblicklich, ganz einfach, ganz einfach! Herrgott, wie ist es nur geschehen, daß da auf einmal eine ganz neue Welt begonnen hat! Ja, eine neue Welt, eine ganz, ganz neue Welt! ... Aber Lisa und der Fürst, die sind noch aus der alten Welt ... Da bin ich nun hier beim Fürsten. Und Mama – wie hat sie es nur fertiggebracht, mit ihm zu leben, wenn es so steht! Ich hätte es gekonnt, ich kannalles, aber sie? Was wird nun geschehen?« Und wie vom Wirbelwind getrieben, huschten die Gestalten Lisas, Anna Andrejewnas, Stebelkows, des Fürsten, Afjerdows und vieler anderer in meinem kranken Gehirn vorbei, ohne eine Spur zu hinterlassen. Aber meine Gedanken wurden immer gestaltloser und huschten immer schneller davon; ich war froh, wenn ich einmal einen verstehen und festhalten konnte.
    »Ich habe ja doch meine »Idee«!« dachte ich plötzlich, »Aber ist es auch wirklich so? Ist das auch nicht etwa nur eine auswendig gelernte Phrase? Meine Idee ist Dunkelheit und Einsamkeit, aber besteht jetzt für mich überhaupt noch eine Möglichkeit, wieder in die frühere Dunkelheit zurückzukriechen? Ach, mein Gott, ich habe ja das Schriftstück nicht verbrannt! Ich habe vorgestern ganz vergessen, es zu verbrennen. Ich will nach Hause gehen und es an einer Kerze verbrennen; es muß gerade eine Kerze sein; ich weiß nur nicht, ob ich jetzt wirklich richtig denke ...«
    Es war schon längst dunkel geworden, und Pjotr brachte Kerzen herein. Er stand über mir und fragte, ob ich schon gegessen hätte. Ich machte nur eine ablehnende Handbewegung. Indessen brachte er mir eine Stunde darauf Tee, und ich trank gierig eine große Tasse voll aus. Dann erkundigte ich mich, was die Uhr sei. Es war halb neun, und ich wunderte mich nicht einmal darüber, daß ich schon fünf Stunden lang dagesessen hatte.
    »Ich bin schon dreimal zu Ihnen hereingekommen«, sagte Pjotr, »aber Sie schliefen wohl.«
    Ich hatte keine Erinnerung, daß er dagewesen war. Ich weiß nicht warum, aber ich bekam auf einmal einen gewaltigen Schreck darüber, daß ich geschlafen hatte, stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, um nicht wieder »einzuschlafen«, Zuletzt bekam ich heftige Kopfschmerzen. Punkt zehn Uhr trat der Fürst herein, und ich wunderte mich darüber, daß ich auf ihn gewartet hatte; ich hatte ihn vollständig vergessen, vollständig.
    »Sie sind hier, und ich bin zu Ihnen hergefahren, um Sie abzuholen«, sagte er zu mir. Sein Gesicht war finster und streng und zeigte keine Spur von einem Lächeln, Seine Augen ließen einen unerschütterlichen Vorsatz erkennen.»Ich habe mich den ganzen Tag abgemüht und alle Mittel versucht«, fuhr er, ganz mit seinen

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