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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Birkenholz die Rinde abreißen, sie mit einem Zündholz anstecken und in das Holz schieben, dann ist das Feuer fertig. Ich aber springe hinunter und gehe davon; ich brauche nicht einmal zu laufen, weil das Feuer lange Zeit nicht bemerkt werden wird ...‹ So überlegte ich das alles und – hatte plötzlich meinen Entschluß gefaßt. Ich empfand darüber ein ganz besonderes Vergnügen, einen hohen Genuß und stieg hinauf. Ich war ein vorzüglicher Kletterer: Turnen war schon auf dem Gymnasium meine Spezialität gewesen, aber ich hatte Überschuhe an; und das erschwerte die Sache. Indes gelang es mir doch, indem ich mich mit der einen Hand an einem kaum bemerkbaren Vorsprung oben festhielt, mich hochzuziehen, und ich streckte schon die andere Hand aus, um den oberen Rand der Mauer zu fassen, als ich auf einmal ausrutschte und rücklings herunterfiel. Ich nehme an, daß ich mit dem Hinterkopfauf die Erde schlug und wohl ein oder zwei Minuten lang ohne Bewußtsein dalag. Als ich wieder zu mir kam, schlug ich mechanisch meinen Pelz vorn übereinander, da ich auf einmal ein unerträgliches Kältegefühl verspürte, und ohne noch recht zu wissen, was ich tat, kroch ich in einen Winkel des Tores und kauerte mich, ganz zusammengekrümmt, in die Nische zwischen dem Tor und der vorspringenden Mauer. Meine Gedanken verwirrten sich, und wahrscheinlich schlummerte ich sehr schnell ein. Jetzt habe ich eine traumhafte Erinnerung daran, daß auf einmal ein tiefer, schwerer Glockenschlag an mein Ohr drang und ich mit Genuß nach ihm hinzuhorchen begann.

II
     
    Die Glocke tat alle zwei oder drei Sekunden einen festen, kräftigen Schlag, aber dies war kein Sturmläuten, sondern ein angenehmer, schwimmender Ton, und ich merkte auf einmal, daß das ein bekannter Ton war und daß da in der Nikolaikirche geläutet wurde, in der roten Kirche gegenüber von Touchard, einer altertümlichen, mir gut erinnerlichen Moskauer Kirche, die noch unter Alexej Michailowitsch gebaut und mit allerlei Ornamenten; vielen Kuppeln und Säulen geschmückt ist; auch wurde ich mir bewußt, daß jetzt eben die Osterwoche vorbei war und an den dürftigen Birken im Vorgarten des Touchardschen Hauses schon junge, grüne Blättchen zittern. Die helle Sonne des späten Nachmittags schickt ihre schrägen Strahlen in unser Klassenzimmer, und bei mir, in meinem kleinen, links gelegenen Zimmerchen, wohin mich Touchard schon vor einem Jahr von den »Grafen- und Senatorensöhnen« hinweg verbannt hatte, sitzt eine Besucherin. Ja, bei mir, dem elternlosen Knaben, war auf einmal eine Besucherin erschienen – zum erstenmal, seit ich bei Touchard war. Ich hatte diese Besucherin sofort bei ihrem Eintritt erkannt: es war Mama. Und doch hatte ich sie seit der Zeit, wo sie mich in der Dorfkirche an der Feier des Abendmahls hatte teilnehmen lassen und die Taube durch die Kuppel geflogen war, kein einziges Mal mehr gesehen. Wir saßen beide allein in meinem Zimmerchen, und ich betrachtete siemit seltsamen Blicken. Später, viele Jahre nachher, erfuhr ich, daß sie damals von Wersilow, der plötzlich ins Ausland gereist war, zurückgelassen und mit ihren eigenen, kümmerlichen Mitteln auf eigene Faust nach Moskau gekommen war, fast ohne Wissen der Familie, deren Obhut man sie damals anvertraut hatte, und das einzig und allein, um mich wiederzusehen. Sonderbar war auch, daß sie, nachdem sie ins Haus gekommen war und mit Touchard gesprochen hatte, mir selbst kein Wort darüber sagte, daß sie meine Mutter sei ... Sie saß neben mir, und wie ich mich erinnere, wunderte ich mich sogar darüber, daß sie so wenig sprach. Sie hatte ein Bündelchen bei sich und band es auf: es kamen sechs Apfelsinen, einige Pfefferkuchen und zwei gewöhnliche Franzbrote zum Vorschein. Ich fühlte mich durch die Franzbrote beleidigt und erklärte mit hochmütiger Miene, die »Beköstigung« sei hier bei uns sehr gut und wir bekämen täglich zum Tee jeder ein ganzes Franzbrot.
    »Das tut ja nichts, lieber Junge, ich habe in meiner Einfalt gedacht: »Vielleicht bekommen sie da in der Schule schlecht zu essen«, nimm es nur, Kind!«
    »Auch Antonina Wassiljewna« (Touchards Frau) »wird es übelnehmen. Meine Mitschüler werden sich ebenfalls über mich lustig machen ...«
    »Du willst sie wohl gar nicht nehmen? Aber vielleicht ißt du sie doch?«
    »Na, meinetwegen, lassen Sie sie hier!«
    Aber ich rührte die mitgebrachten Eßsachen gar nicht an; die Apfelsinen und Pfefferkuchen lagen vor mir auf einem

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