Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
ein Dieb, sondern auch ein Denunziant!« Jetzt bei der Rückerinnerung lege ich mir die Sache so zurecht und erkläre sie mir in dieser Weise; damals aber war mir durchaus nicht nach einer Analyse zumute; ich schrie das damals ohne jede Absicht und hatte eine Sekunde vorher nicht einmal gewußt, daß ich es schreien würde; ich tat es ganz unwillkürlich, das war eben so ein eigentümlicher Zug in meiner Seele.
    Während ich so lief, hatte das Fieber bei mir zweifellos schon begonnen, aber ich erinnere mich genau, daß ich mit Bewußtsein handelte. Dabei aber kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß eine richtige Kette von Gedanken und Schlußfolgerungen für mich schon damals ein Ding der Unmöglichkeit war; ich fühlte sogar in jenen Augenblicken im stillen selbst, daß ich manche Gedanken bilden konnte, andere aber absolut nicht. Ebenso trugen manche meinerdamaligen Entschlüsse, obgleich ich sie bei klarem Bewußtsein gefaßt hatte, nicht die geringste Logik in sich. Ja noch mehr: ich erinnere mich recht wohl, daß ich in manchen Augenblicken mir der Unsinnigkeit dieses oder jenes Entschlusses völlig bewußt war und doch gleichzeitig mit vollem Bewußtsein zu seiner Ausführung schreiten konnte. Ja, ich war in jener Nacht sehr nahe daran, ein Verbrechen zu begehen, und es war nur ein Zufall, daß ich es nicht tat.
    Mir ging auf einmal eine Bemerkung durch den Kopf, die Tatjana Pawlowna über Wersilow gemacht hatte: er solle an die Nikolaibahn gehen und den Kopf auf die Schienen legen, da würde er ihm schon abgefahren werden. Dieser Gedanke bemächtigte sich einen Augenblick lang meiner ganzen Empfindungen, aber ich verscheuchte ihn sofort wieder mit einem Gefühl des Schmerzes: ›Wenn ich den Kopf auf die Schienen legte und stürbe, dann würden die Leute morgen sagen: »Das hat er deswegen getan, weil er gestohlen hat, er hat es aus Schamgefühl getan« – nein, um keinen Preis!‹ Und siehe da, in diesem Augenblick empfand ich plötzlich einen furchtbaren Ingrimm. ›Was nun?‹ ging es mir durch den Kopf. ›Rechtfertigen kann ich mich auf keine Weise mehr, ein neues Leben anzufangen ist ebenfalls unmöglich; daher will ich mich darein fügen, ein Lakai zu werden, ein Hund, ein gemeines Insekt, ein Denunziant, ein richtiger Denunziant, und dann will ich mich ganz in der Stille vorbereiten und eines Tages alles plötzlich in die Luft sprengen, alles vernichten, alle, Schuldige und Unschuldige, und dann werden es alle auf einmal erfahren, daß das eben jener selbe Mensch gewesen ist, den sie einen Dieb genannt haben ... und dann will ich auch mir selbst das Leben nehmen.‹
    Ich erinnere mich nicht, wie ich beim Umherlaufen in eine Seitengasse irgendwo in der Nähe des Konnogwardejskij-Boulevards hineingeraten war. In dieser Seitengasse zogen sich an beiden Seiten, auf eine Strecke von fast hundert Schritten, steinerne Mauern hin, durch welche die Hinterhöfe abgeschlossen wurden. Hinter einer solchen Mauer linker Hand erblickte ich einen gewaltigen Stapel Holz; es war ein langer Stapel, wie man sie auf Holzhöfensieht, und er überragte die Mauer um gut eine Sashen. Ich blieb auf einmal stehen und begann nachzudenken. Ich hatte ein kleines silbernes Etui mit Wachszündhölzchen in der Tasche bei mir. Ich wiederhole, ich war mir damals ganz genau dessen bewußt, was ich überlegte und was ich tun wollte, und habe es auch jetzt im Gedächtnis, aber warum ich das tun wollte – das weiß ich nicht, weiß ich absolut nicht. Ich erinnere mich nur, daß ich auf einmal ein sehr starkes Verlangen danach bekam. ›Auf die Mauer hinaufzusteigen ist sehr wohl möglich‹, sagte ich mir; es traf sich, daß nur zwei Schritte von mir entfernt in der Mauer sich ein Tor befand, das wahrscheinlich ganze Monate lang fest verschlossen zu bleiben pflegte. ›Wenn man unten auf den Vorsprung tritt‹, dachte ich weiter, ›so kann man an den oberen Rand des Tors fassen und auf die Mauer selbst hinaufsteigen – und niemand wird es bemerken; es ist ja kein Mensch da, ringsum ist alles still! Und dann setze ich mich oben auf die Mauer und kann das Holz ganz vorzüglich anzünden; ich brauche nicht einmal innen hinunterzusteigen, da das Holz beinahe an die Mauer stößt. Infolge der Kälte wird es noch besser brennen; ich brauche mit der Hand nur ein Birkenscheit herauszuziehen ... und ein Scheit herauszuziehen wird gar nicht erforderlich sein: ich kann einfach, während ich auf der Mauer sitze, mit der Hand von einem Scheit

Weitere Kostenlose Bücher