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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Liebenden vollständig richtig beurteilen? Aber es ist mir bekannt, daß der Fürst sie fortwährend tief kränkte, und zwar wodurch? Sonderbarerweise durch unablässige Eifersucht. Übrigens komme ich darauf später noch zurück; aber einen Gedanken möchte ich hier noch hinzufügen: es ist schwer zu entscheiden, wer von ihnen beiden den andern mehr peinigte. Obwohl Lisa bei uns auf ihren Helden so stolz war, benahm sie sich vielleicht ihm gegenüber unter vier Augen ganz anders, wie ich mit Bestimmtheit aus gewissen Tatsachen schließe, von denen ich ebenfalls noch in der Folge zu sprechen habe. Was also meine Gefühle gegenüber Lisa und meine Beziehungen zu ihr anlangt, so war alles äußerlich Sichtbare von beiden Seiten nur eine künstliche, eifersüchtige Unwahrheit, in Wirklichkeit aber haben wir einander niemals stärker geliebt als zu jener Zeit. Ich füge noch hinzu, daß Lisa sich gegenüber Makar Iwanowitsch gleich von seiner Ankunft an, nachdem die erste Verwunderung und Neugier bei ihr vorbei war, aus einem mir unverständlichen Grund fast geringschätzig, ja sogar hochmütig benahm. Es schien, daß sie ihm absichtlich nicht die geringste Beachtung schenkte.
    Als ich mir vornahm zu schweigen, wie ich das im vorhergehenden Kapitel dargelegt habe, da beabsichtigte ich natürlich in der Theorie, das heißt in meinen Träumereien, mein Wort zu halten. Oh, mit Wersilow zum Beispiel hätte ich eher von der Zoologie oder von den römischen Kaisern zu sprechen angefangen als von ihr oder von jener besonders wichtigen Zeile in seinem Brief an sie, wo er ihr mitteilte, daß das »Schriftstück« nicht verbrannt sei, sondern existiere und zum Vorschein kommen werde – eine Zeile,über die ich sofort im stillen wieder nachzudenken anfing, sobald ich nach dem Fieber wieder zur Besinnung gekommen war und den Gebrauch meines Verstandes wiedererlangt hatte. Aber leider mußte ich gleich bei den ersten Schritten in der Praxis und beinahe noch vor diesen Schritten merken, wie schwer, ja unmöglich es ist, bei solchen Vorsätzen zu beharren: gleich am nächsten Tag nach meiner ersten Bekanntschaft mit Makar Iwanowitsch geriet ich durch eine unerwartete Neuigkeit in große Aufregung.

II
     
    Was mich in solche Aufregung versetzte, war eine unerwartete Mitteilung, die mir Darja Onissimowna, die Mutter der verstorbenen Olga, machte. Von Mama hatte ich bereits gehört, daß sie während meiner Krankheit zweimal dagewesen sei und sich sehr für mein Befinden interessiert habe. Ob diese »gute Frau«, wie Mama sie immer nannte, speziell um meinetwillen gekommen war oder einfach nach schon hergebrachter Gewohnheit Mama besucht hatte, danach erkundigte ich mich nicht. Mama pflegte mir immer von allen häuslichen Angelegenheiten zu erzählen, gewöhnlich wenn sie mit der Suppe kam und mich fütterte (als ich noch nicht selbst essen konnte) – sie wollte mich damit zerstreuen; ich aber bemühte mich dabei jedesmal hartnäckig, zu zeigen, daß mein Interesse für alle diese Nachrichten sehr gering sei, und daher fragte ich auch nach Darja Onissimowna nicht eingehender, sondern bewahrte vollständiges Stillschweigen.
    Es war gegen elf Uhr; ich hatte gerade vom Bett aufstehen und zu dem Lehnstuhl am Tisch hinübergehen wollen, als sie ins Zimmer trat. Ich blieb nun absichtlich im Bett. Mama war oben mit etwas sehr beschäftigt und konnte bei Darja Onissimownas Ankunft nicht herunterkommen, so daß ich mit dieser auf einmal allein war. Sie setzte sich mir gegenüber am Fußende des Bettes auf einen Stuhl und lächelte mich an, ohne ein Wort zu sagen. Ich hatte die Empfindung, als würden wir nun das Gesellschaftsspiel »Schweigen« spielen, und überhaupt hatte ihr Besuch die Wirkung, meine Nerven zu reizen. Ich nickte ihr nicht einmalmit dem Kopf zu, sondern blickte ihr gerade ins Gesicht; und sie sah mich ebenfalls gerade an.
    »Ihnen ist es wohl jetzt, wo der Fürst weg ist, so allein in der Wohnung recht langweilig?« fragte ich auf einmal, da ich die Geduld verlor.
    »Nein, ich bin jetzt nicht mehr in jener Wohnung. Ich habe jetzt durch Anna Andrejewnas Vermittlung die Aufsicht über sein Kindchen.«
    »Über wessen Kindchen?«
    »Über Andrej Petrowitschs Kindchen«, erwiderte sie in vertraulichem Flüsterton und sah sich dabei nach der Tür um.
    »Aber da ist ja doch schon Tatjana Pawlowna ...«
    »Jawohl, Tatjana Pawlowna und Anna Andrejewna, alle beide, und Lisaweta Makarowna ebenfalls und Ihr Mamachen ... alle. Alle

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