Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
brachte ihn zu Bett. Ich legte mich ebenfalls wieder in mein Bett, befand mich aber in starker Aufregung. Eine große Neugier war in mir rege geworden, und ich dachte angestrengt über diese Begegnung nach. Was ich damals von ihr erwartete, weiß ich nicht. Allerdings entbehrten meine Überlegungen jeglichen Zusammenhanges, und was in meinem Kopf auftauchte, waren nicht Gedanken, sondern nur Bruchstücke von Gedanken. Ich lag mit dem Gesicht nach der Wand zu, und auf einmal erblickte ich im Winkel jenen scharfen, hellen Fleck Sonnenlicht, dessen Erscheinen ich vorher mit solchem Ingrimm erwartet hatte; und nun erinnere ich mich, daß meine ganze Seele frohlockte und gleichsam ein neues Licht in mein Herz drang. Ich erinnere mich an diesen wonnevollen Augenblick und will ihn nie vergessen. Es war nur ein Schimmer neuer Hoffnung und neuer Kraft ... Ich war damals in der Genesung begriffen, und somit mochten solche starken Affekte eine unvermeidliche Folge des Zustandes meiner Nerven sein, aber an diese selbe lichte Hoffnung glaube ich auch jetzt noch – das ist's, was ich jetzt niederschreiben und mir ins Gedächtnis rufen wollte. Allerdings wußte ich auch damals mit aller Bestimmtheit, daß ich nicht mit Makar Iwanowitsch als Pilger umherziehen würde und daß ich mir über das Wesen dieses neuen Dranges, der mich ergriffen hatte, selbst nicht klar war, aber ein Wort hatte ich schon ausgesprochen, wenn auch im Fieberdelirium: »Die andern besitzen keine edle Schönheit!« ›Gewiß‹, dachte ich in meinem exaltierten Zustand, ›von diesem Augenblick an werde ich die »edle Schönheit« suchen, aber die hier besitzen sie nicht, und darum werde ich sie verlassen.‹
    Es raschelte etwas hinter mir, ich drehte mich um: Mama stand, sich über mich beugend, da und sah mir mit schüchterner Neugier in die Augen. Ich ergriff sie plötzlich bei der Hand.
    »Warum haben Sie mir denn von unserm teuren Gastnichts gesagt, Mama?« fragte ich auf einmal; die Frage kam mir ganz unwillkürlich über die Lippen. Alle Unruhe verschwand mit einem Schlag von ihrem Gesicht, und eine Art Freude leuchtete darin auf, aber sie gab mir keine Antwort auf meine Frage, sondern sagte nur:
    »Vergiß auch Lisa nicht, du hast Lisa vergessen.«
    Sie sagte das hastig und unter Erröten und wollte schnell fortgehen, da sie es ebenfalls nicht liebte, Gefühle herauszukehren, und in dieser Hinsicht mir ähnlich, das heißt schamhaft und keusch war; außerdem wollte sie selbstverständlich mit mir kein Gespräch über Makar Iwanowitsch anfangen; es genügte schon das, was wir uns durch unsere Blicke sagen konnten. Aber ich, der ich doch jedes Herauskehren von Gefühlen haßte, ich hielt sie mit Gewalt an der Hand zurück: ich sah ihr entzückt in die Augen, lachte leise und zärtlich und streichelte mit der andern Hand ihr liebes Gesicht und ihre eingefallenen Wangen. Sie beugte sich zu mir herab und drückte ihre Stirn gegen die meinige.
    »Nun, Christus beschütze dich!« sagte sie dann, indem sie sich wieder aufrichtete; ihr ganzes Gesicht strahlte. »Werde nur wieder gesund. Ich werde dir das nicht vergessen. Er ist krank, sehr krank ... Sein Leben steht in Gottes Hand ... Ach, was habe ich da gesagt; das kann ja gar nicht sein! ...«
    Sie ging hinaus. Ihr ganzes Leben lang hat sie ihren legitimen Gatten, den Pilger Makar Iwanowitsch, mit Furcht und Zittern und scheuer Andacht verehrt, ihren Gatten, der ihr so großmütig ein für allemal verziehen hatte.

Zweites Kapitel
     
I
     
    Lisa hatte ich nicht »vergessen«, darin hatte Mama sich geirrt. Die feinfühlige Mutter hatte gemerkt, daß zwischen Bruder und Schwester eine Abkühlung eingetreten war, aber das hatte nichts mit Abneigung zu tun, sondern eher mit Eifersucht. Ich will das im Hinblick auf die weitere Entwicklung mit ein paar Worten erklären.
    Bei der armen Lisa war gleich von der Verhaftung des Fürsten an eine Art von hochmütigem Stolz, eine Art von unnahbarem, fast unerträglichem Dünkel wahrnehmbar geworden; aber jeder im Hause verstand die Wahrheit, und wie schwer sie litt, und wenn ich in der ersten Zeit über ihre Art, mit uns zu verkehren, maulte und grollte, so war das lediglich eine Folge meiner kleinlichen Empfindlichkeit, die durch die Krankheit auf das Zehnfache gesteigert war so denke ich jetzt darüber. Lisa zu lieben hatte ich aber durchaus nicht aufgehört, ich liebte sie im Gegenteil noch mehr als früher, nur wollte ich nicht den ersten Schritt zur Annäherung

Weitere Kostenlose Bücher