Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
das hiesige Volk ist diebisch; was es sieht, das schleppt es weg; es besitzt keine Festigkeit. Und ferner, es ist trunksüchtig; wenn man einem seinen Lohn auszahlt, so trägt er ihn in die Schenke, und dann sitzt er nackt in der Schenke, ohne einen Faden auf dem Leib, und in diesem Zustand geht er hinaus. Und ferner benimmt er sich unwürdig: er setzt sich der Schenke gegenüber auf einen Stein und fängt an zu lamentieren: ›Ach, meine liebe Mutter, warum hast du mich unglücklichen Säufer geboren? Hättest du doch mich unglücklichen Säufer gleich bei der Geburterwürgt!‹ Kann man denn so einen überhaupt noch einen Menschen nennen? Ein Vieh ist er und kein Mensch; so einem muß man zu allererst Bildung beibringen, dann erst kann man ihm Geld in die Hände geben. Ich weiß schon, wann man ihm etwas geben darf.«
    So redete Maxim Iwanowitsch von den Leuten in Afimjewsk, und wenn es auch schlecht von ihm war, so zu reden, so war es doch auch wahr: die Leute waren wirklich willensschwach und konnten sich nicht beherrschen.
    Es lebte in dieser selben Stadt auch ein anderer Kaufmann, und der starb; er war ein junger, leichtsinniger Mensch gewesen, hatte Bankrott gemacht und sein ganzes Vermögen verloren. Im letzten Jahr hatte er noch gezappelt wie ein Fisch auf dem Sand, aber dann war sein Lebensende herangekommen. Mit Maxim Iwanowitsch hatte er sich die ganze Zeit schlecht gestanden und war ihm bedeutende Summen schuldig geblieben. Noch in seiner letzten Stunde hatte er Maxim Iwanowitsch verflucht. Er hinterließ eine noch junge Witwe und mit ihr auch fünf Kinder. Wenn eine Witwe nach dem Tod ihres Mannes allein zurückbleibt, das ist an sich schon wie eine Schwalbe ohne Nest, eine schwere Prüfung, und nun gar mit fünf kleinen Kindern, die sie nicht ernähren kann: ihr letztes Besitztum, ein hölzernes Häuschen, hat ihr Maxim Iwanowitsch für die Schulden weggenommen. Und sie stellte sie alle in einer Reihe in der Vorhalle der Kirche auf: das älteste, ein Knabe, war acht Jahre alt, und die übrigen, lauter Mädchen, folgten aufeinander in Abständen von einem Jahr; die älteste war vierjährig, und die jüngste trank noch an der Mutterbrust. Die Messe war zu Ende, Maxim Iwanowitsch kam heraus, und alle Kinderchen, die ganze Reihe, fielen vor ihm auf die Knie – das hatte die Mutter sie vorher gelehrt – und legten alle gleichmäßig die Händchen vor der Brust mit den Innenseiten zusammen; sie selbst aber hinter ihnen, mit dem fünften Kindchen auf dem Arm, verbeugte sich vor ihm in Gegenwart aller Leute bis zur Erde: »Väterchen, Maxim Iwanowitsch«, sagten die älteren Kinder, »habe Mitleid mit uns armen Waisen, nimm uns nicht den letzten Bissen Brot, vertreib uns nicht aus dem Hause, in dem wir geboren sind!« Und alle, die zugegen waren, fingen an zuweinen, so gut hatte die Mutter die Kleinen unterwiesen. Sie dachte: »So vor allen Leuten wird er sich schämen, unbarmherzig zu sein, und wird den Waisen das Haus zurückgeben.« Aber es kam anders. Maxim Iwanowitsch blieb stehen: »Du junge Witwe«, sagte er, »willst bloß wieder einen Mann haben und weinst nicht um die Waisen. Dein verstorbener Mann hat mich noch auf dem Totenbett verflucht.« Und damit ging er vorbei und gab ihnen das Haus nicht wieder. »Warum soll man sich durch die dummen Redensarten solcher Leute herumkriegen lassen?« sagte er. »Wenn man ihnen eine Wohltat erweist, schimpfen sie bloß noch ärger auf einen; das hat alles keinen Zweck, und das Gerede wird nur noch schlimmer.« Und es ging auch wirklich ein Gerede, er habe vor zehn Jahren heimlich nach dieser Witwe geschickt, als sie noch unverheiratet war, und ein großes Stück Geld geboten (denn sie war sehr schön), ohne daran zu denken, daß dies eine ebenso große Sünde ist, wie wenn jemand ein Gotteshaus zerstört; aber er hatte damals nichts erreicht. Und gerade derartige Schändlichkeiten beging er sowohl in der Stadt als auch im ganzen Gouvernement nicht wenige und kannte bei solchen Dingen gar kein Maß mehr.
    Die Mutter weinte laut mit ihren Kleinen; er trieb die Waisen aus dem Haus, und zwar nicht bloß aus Herzensbosheit, sondern der Mensch weiß manchmal selbst nicht, was ihn veranlaßt, auf seinem Willen zu bestehen. Na, anfangs halfen ihr mitleidige Leute, und dann ging sie auf Arbeit. Aber bei uns gibt es ja, außer in der Fabrik, wenig Gelegenheit, durch Arbeit etwas zu verdienen; hier scheuerte sie die Stuben, da jätete sie im Gemüsegarten Unkraut, dort

Weitere Kostenlose Bücher