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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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heizte sie die Badestube, und immer mit dem kleinen Kind auf dem Arm und unter Tränen, und die vier andern liefen in der Nähe auf der Straße in ihren Hemdchen herum. Damals, als sie sie in der Vorhalle der Kirche hatte niederknien lassen, da hatten sie noch so leidliche Schuhchen und noch so leidliche Röckchen angehabt und hatten wie Kaufmannskinder ausgesehen; aber nun liefen sie schon barfuß umher: bei einem kleinen Kind halten die Sachen nicht lange, das weiß man ja. Na, aber was machen sich die Kinderchen daraus? Wenn nur die liebe Sonnescheint, so freuen sie sich und empfinden das Elend nicht; sie sind wie die Vögelchen, und ihre Stimmchen klingen so hell wie Glöckchen. Die Witwe aber dachte: ›Wenn es Winter wird, wo soll ich euch dann unterbringen? Wenn euch nur Gott dann zu sich nähme!‹ Aber es dauerte nicht einmal bis zum Winter. Es gibt da in unserer Gegend bei den Kindern einen Husten, den man Stickhusten nennt und der sich von einem Kind auf das andere überträgt. Zu allererst starb der Säugling, und darauf erkrankten auch die übrigen kleinen Mädchen, und die Mutter begrub die sämtlichen vier kleinen Mädchen, eines nach dem andern, in demselben Herbst. Eines von ihnen war allerdings auf der Straße von einem Wagen überfahren worden. Ja, und was meint ihr wohl? Sie schluchzte nur so bei den Beerdigungen: erst hatte sie ihnen den Tod gewünscht, und nun Gott sie zu sich genommen hatte, war sie traurig. So ist das Mutterherz!
    Nur das älteste Kind, der Knabe, war ihr am Leben geblieben, und um den war sie in ständiger Angst und Sorge. Er war zart und schwächlich und hatte ein so liebliches Gesichtchen wie ein Mädchen. Sie brachte ihn nach der Fabrik zu seinem Paten, der dort Verwalter war, und vermietete sich selbst bei einem Beamten als Kinderfrau. Aber eines Tages lief der Knabe auf dem Hof umher, und da kam auf einmal Maxim Iwanowitsch in seinem Zweispänner angefahren und war gerade wieder einmal angetrunken; der Knabe aber rannte von der Treppe herunter unversehens auf ihn los (er war nämlich gestolpert) und stieß ihn, wie er aus dem Wagen stieg, mit beiden Händen gerade gegen den Bauch. Der packte ihn bei den Haaren und schrie: »Wem gehört der Junge? Ruten her! Haut ihn hier gleich vor meinen Augen durch!« Der Knabe wurde leichenblaß. Sie schlugen ihn, und er schrie. »Du willst auch noch schreien? Haut ihn, bis er aufhört zu schreien!« Aber sie mochten ihn nun viel oder wenig schlagen, er hörte nicht auf zu schreien, bis er wie tot dalag. Da erschraken sie und hielten mit dem Schlagen inne, denn der Knabe atmete nicht und lag bewußtlos da. Später wurde gesagt, sie hätten ihn überhaupt nicht sehr geschlagen, er sei nur sehr schreckhaft gewesen. Auch Maxim Iwanowitsch hatte einen Schreckbekommen. »Wem gehört der Junge?« fragte er; es wurde ihm Auskunft gegeben. »Na so was! Bringt ihn zu seiner Mutter; was hat er sich hier in der Fabrik herumzutreiben?« Darauf schwieg er zwei Tage lang und fragte dann wieder: »Wie geht es dem Jungen?« Aber dem Jungen ging es schlecht: er war krank geworden, lag bei der Mutter in deren elendem Kämmerchen, denn sie hatte aus diesem Anlaß ihre Stelle bei dem Beamten aufgegeben, und es hatte sich bei ihm eine Lungenentzündung entwickelt. »Na so was!« sagte Maxim Iwanowitsch, »und wovon? Sag mal einer! Ja, wenn er stark geschlagen worden wäre; aber es ist ihm ja nur ein ganz kleiner Denkzettel verabreicht worden. Ich habe ja viele andere in ganz gleicher Weise durchhauen lassen, und es ist ohne alle solche Torheiten abgegangen.« Er wartete darauf, daß die Mutter ihn verklagen würde, und schwieg aus Stolz. Aber wie wäre das möglich gewesen? Das wagte die Mutter gar nicht. So schickte er ihr denn aus eigenem Antrieb fünfzehn Rubel und einen Arzt; und zwar tat er das nicht, als ob er irgendwelche Furcht gehabt hätte, sondern einfach, weil er sich die Sache hatte durch den Kopf gehen lassen. Darauf aber kam bald wieder seine Trinkperiode, und er trank drei Wochen lang.
    Der Winter ging vorüber, und gerade an dem höchsten Festtag, dem Ostersonntag, fragte Maxim Iwanowitsch wieder: »Wie geht es denn jenem Jungen?« Den ganzen Winter über hatte er geschwiegen und nicht gefragt. Und es wurde ihm geantwortet: »Er ist wieder gesund geworden und lebt bei seiner Mutter, und die geht immer auf Tagelohn.« Da fuhr Maxim Iwanowitsch gleich an demselben Tag zu der Witwe hin, er ging nicht in das Haus hinein, sondern ließ sie ans

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