Der Jüngling
Tor rufen; er selbst blieb in seinem Wagen sitzen: »Hör mal, du ehrsame Witwe«, sagte er, »ich will deinem Sohn ein wirklicher Wohltäter sein und ihm eine grenzenlose Gnade erweisen: ich werde ihn von hier wegnehmen, zu mir, in mein Haus. Und wenn er mir nur ein wenig gefällt, so werde ich ihm ein ausreichendes Kapital verschreiben; wenn ich aber ganz mit ihm zufrieden bin, so kann ich ihn auch zum Erben meines ganzen Vermögens nach meinem Tode einsetzen wieeinen leiblichen Sohn, aber unter der Bedingung, daß Euer Gnaden mein Haus außer an hohen Festtagen nicht betreten. Wenn du damit einverstanden bist, so bringe den Jungen morgen früh zu mir; er kann doch nicht immer nur mit Knöcheln spielen.« Nach diesen Worten fuhr er davon und ließ die Mutter in völliger Fassungslosigkeit zurück. Die Leute, die von diesem Anerbieten hörten, sagten zu ihr: »Wenn der Knabe heranwächst, wird er selbst es dir zum Vorwurf machen, daß du ihn eines solchen Glückes nicht hast teilhaftig werden lassen.« Die ganze Nacht hindurch weinte die Mutter am Bett des Knaben, aber am Morgen brachte sie ihn hin. Der Knabe war mehr tot als lebendig.
Maxim Iwanowitsch kleidete ihn wie einen Herrensohn, nahm einen Lehrer für ihn an und ließ ihn sich sofort an die Bücher setzen, und es kam so weit, daß er ihn gar nicht mehr aus den Augen ließ, sondern immer um ihn war. Sowie der Knabe ein wenig ausspannte, schrie er ihn auch schon an: »Setz dich ans Buch! Lern etwas: ich will dich zu einem tüchtigen Menschen machen!« Der Knabe aber war kränklich; gleich von der Zeit an, wo er geschlagen worden war, hatte er zu husten angefangen. »Hat er bei mir nicht ein gutes Leben?« fragte Maxim Iwanowitsch verwundert. »Bei seiner Mutter ist er barfuß gelaufen und hat Brotrinden gekaut; woher kommt es, daß er jetzt noch kränklicher ist als früher?« Der Lehrer aber erwiderte ihm: »Jeder Knabe muß auch umhertollen und nicht immer nur lernen; er braucht notwendig Bewegung«, und er bewies ihm das alles mit Gründen. Maxim Iwanowitsch dachte nach und sagte dann: »Da hast du recht.« Es war aber dieser Lehrer, namens Pjotr Stepanowitsch – Gott habe ihn selig –, eigentlich ein Halbverrückter; er trank sehr viel, man kann sogar sagen zuviel, und deswegen wurde er schon seit längerer Zeit aus jeder Stelle, die er bekam, bald wieder entlassen und lebte in der Stadt fast nur von milden Gaben, aber er besaß einen guten Verstand und war in den Wissenschaften wohlbewandert. »Ich müßte nicht hier sein«, sagte er selbst von sich, »sondern Professor an einer Universität; hier bin ich im Schmutz versunken, und selbst meine Kleider ekeln sich vor mir.« Maxim Iwanowitsch setzte sich zu demKnaben hin und schrie ihn an: »Tolle umher!« Der aber wagte in seiner Gegenwart kaum zu atmen. Und es kam so weit, daß das Kind nicht einmal seine Stimme ertragen konnte – gleich fing es am ganzen Leib an zu zittern. Maxim Iwanowitsch aber wunderte sich immer mehr: »Es ist nicht aus ihm klug zu werden; ich habe ihn aus dem Schmutz herausgezogen, ihn in drap de dames gekleidet; er trägt seidene Halbstiefelchen und ein Hemd mit Stickerei; wie einen Generalssohn halte ich ihn: warum ist er zu mir nicht zutraulich? Warum schweigt er immer wie ein kleiner Wolf?« Und obgleich alle Leute schon längst aufgehört hatten, sich über Maxim Iwanowitsch zu wundern, so wunderten sie sich jetzt doch wieder über ihn: der Mensch hatte seine Natur vollständig geändert; er hing an diesem kleinen Knaben und konnte gar nicht von ihm lassen. »Ich will nicht am Leben bleiben«, sagte er, »wenn ich diesen Zug nicht aus seinem Charakter ausrotte. Sein Vater hat mich auf seinem Totenbett, nachdem er schon das Abendmahl genommen hatte, noch verflucht; diesen Charakterzug hat der Knabe von seinem Vater geerbt.« Er bestrafte ihn niemals mit Schlägen (seit jenem Mal hatte er davor Furcht); aber er schüchterte ihn ein, das war's. Er schüchterte ihn ein ohne Schläge.
Und da trug sich nun folgendes zu. Eines Tages war Maxim Iwanowitsch gerade aus dem Zimmer hinausgegangen, da sprang der Knabe von seinem Buch auf und stieg auf einen Stuhl, es war ihm vorher sein Ball auf den Schrank geflogen, und den wollte er sich nun wieder holen, und da blieb er mit dem Ärmel an einer auf dem Schrank stehenden Porzellanlampe hängen; die Lampe fiel krachend auf den Fußboden und zerbrach in tausend Stücke; es schallte durch das ganze Haus, und es war ein kostbarer
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