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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Gegenstand, sächsisches Porzellan. Maxim Iwanowitsch hörte es vom dritten Zimmer aus und brüllte vor Zorn. In größter Angst rannte der Knabe davon, ohne zu überlegen, wohin; er lief auf die Veranda hinaus und durch den Garten und durch das Hinterpförtchen geradeswegs an das Flußufer. Aber am Flußufer zieht sich dort ein Boulevard entlang, es stehen dort alte Weidenbäume, und es ist eine hübsche Gegend. Er lief zum Wasser hinunter – die Leutesahen es – gerade bei der Stelle, wo die Fähre anlegt, und da schlug er die Hände zusammen – er erschrak wohl vor dem Wasser – und stand wie angewurzelt. Der Fluß aber ist dort breit und hat eine schnelle Strömung, und es fahren dort Frachtschiffe vorüber; auf dem gegenüberliegenden Ufer sind Läden und ein freier Platz, und es steht da eine Kirche mit goldglänzenden Kuppeln. Und da kam gerade die Frau Oberst Fersing mit ihrem Töchterchen eilig zum Anlegeplatz der Fähre, um überzufahren; es lag nämlich dort ein Infanterieregiment in Garnison. Das Töchterchen, ebenfalls ein Kind von ungefähr acht Jahren, hatte ein weißes Kleidchen an; sie sah den Knaben an und lachte, in der Hand aber trug sie so ein kleines Spankörbchen, wie sie die Bauern haben, und in dem Körbchen einen kleinen Igel. »Sehen Sie nur, Mamachen«, sagte sie, »wie der Junge mein Igelchen ansieht.« – »Nein«, antwortete die Frau Oberst, »er ist über etwas erschrocken. Worüber bist du denn so erschrocken, du netter Junge?« (So haben sie das alles nachher erzählt.) »Und was für ein netter Junge es ist«, sagte sie, »und wie gut gekleidet; wem gehörst du denn, Jungchen?« fragte sie. Er aber hatte noch keinen Igel gesehen, trat näher heran, besah ihn und hatte schon alles vergessen – wie das bei Kindern so ist! »Was ist denn das, was Sie da haben?« fragte er. – »Das ist ein Igel«, sagte die Dame, »wir haben ihn soeben von einem Bauern gekauft; er hat ihn im Wald gefunden.« – »Was ist das für ein Ding, ein Igel?« fragte er und lachte sehr und tippte ihn mit dem Finger an; der Igel aber sträubte seine Stacheln, und das Mädchen freute sich über den Jungen. »Wir wollen ihn mit nach Hause nehmen und zahm machen«, sagte sie. – »Ach«, sagte er, »schenken Sie mir doch Ihren Igel!« Und er bat darum in so rührender Weise, aber kaum hatte er diese Bitte ausgesprochen, als auf einmal Maxim Iwanowitsch von oben, vom Abhang her, schrie: »Ah, da bist du ja! Haltet ihn fest!« (Er war so wütend, daß er ihm ohne Mütze vom Hause her nachgerannt war.) Da fiel dem Knaben alles wieder ein; er schrie auf, stürzte zum Wasser hin, drückte seine beiden kleinen Fäuste gegen die Brust, blickte gen Himmel (das haben die Leute gesehen, ja, das haben sie gesehen!) – und platsch! warf er sich ins Wasser. Na, dieLeute schrien auf; einige stürzten sich an der Fähre ins Wasser und versuchten ihn zu fassen, aber das Wasser hatte ihn schon fortgeführt; die Strömung war stark, und als man ihn endlich herauszog, hatte er schon zuviel Wasser geschluckt – er war tot. Er war ja nur schwach auf der Brust gewesen und hatte das Wasser nicht vertragen, und wieviel braucht denn auch ein solches Bürschchen? Und seit Menschengedenken war es in jenen Gegenden nicht vorgekommen, daß ein so kleines Kind sich das Leben genommen hatte! So eine Sünde! Und was kann dieses kleine Seelchen in jener Welt Gott dem Herrn antworten?
    Über diesen Vorfall machte sich nun Maxim Iwanowitsch seitdem viele Gedanken. Und der Mensch veränderte sich dermaßen, daß er gar nicht wiederzuerkennen war. Er war ganz tiefsinnig geworden. Er wollte es mit dem Trinken versuchen, er trank viel, ließ es dann aber wieder, weil es doch nicht half. Er fuhr auch nicht mehr nach der Fabrik; wenn ihm jemand etwas sagte, hörte er nicht darauf hin; er schwieg dann nur oder winkte mit der Hand ab. So verbrachte er ungefähr zwei Monate, dann begann er mit sich selbst zu sprechen, ging umher und sprach mit sich selbst. Das in der Nähe der Stadt gelegene Dörfchen Waskowa war abgebrannt, neun Häuser waren niedergebrannt; Maxim Iwanowitsch fuhr hin, um es sich anzusehen. Die Abgebrannten umringten ihn jammernd – er versprach, ihnen zu helfen, und gab Befehl dazu, aber dann rief er seinen Verwalter und nahm alles wieder zurück. »Es soll ihnen nichts gegeben werden«, sagte er, ohne einen Grund dafür zu nennen. »Gott hat mich«, sagte er, »wie eine Art Ungeheuer gesandt, um die Menschen niederzutreten; so

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