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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Andrejewna anlangt, so befand sie sich gerade in einer solchen Lage, daß sie nach einer derartigen Nachricht begierig greifen, sie mit größter Aufmerksamkeit anhören und ... »im Kampf ums Dasein« an die Angel gehen mußte. Gerade um diese Zeit hatte man ihr ihren Bräutigam weggenommen, ihn nach Zarskoje Selo gebracht und dort unter Vormundschaft gestellt; ja auch sie selbst war unter Vormundschaft gestellt worden. Und nun plötzlich ein solcher Fund: hier handelte es sich nicht um Ohrenbläsereien von Weibern, nicht um weinerliche Klagen, nicht um Verleumdungen und Klatschereien, sondern hier war ein Brief, ein Schriftstück, das heißt ein zwingender Beweis für die tückischen Absichten seiner Tochter und all derer, die ihn von ihr getrennt hatten, ein zwingender Beweis für die Notwendigkeit, sich zu retten, sei es auch durch die Flucht, durch die Flucht zu ihr, zu Anna Andrejewna, und sich mit ihr trauen zu lassen, und sei es innerhalb eines Zeitraumes von vierundzwanzig Stunden. Denn sonst würde er ins Irrenhaus gesteckt werden.
    Aber auch etwas anderes ist möglich: daß Lambert diesem jungen Mädchen gegenüber nicht einmal für einen Augenblick listige Künste zur Anwendung gebracht, sondern gleich von vornherein mit der Tür ins Haus gefallen ist: »Mademoiselle, entweder werden Sie eine alte Jungfer, oder Sie werden eine Fürstin und Millionärin: da ist ein Schriftstück, das werde ich dem jungen Mann stehlen und Ihnen übergeben ... für einen von Ihnen auszustellenden Wechsel über dreißigtausend Rubel.« Ich glaube sogar, daß es wirklich so zugegangen ist. Oh, er hielt alle Menschen für ebensolche Schufte, wie er selbst einer war; ich wiederhole, er hatte als Schuft einen beschränkten Gesichtskreisund besaß eine gewisse Naivität ... Das mag sein, wie es will. Sehr möglich, daß Anna Andrejewna sogar bei einem solchen Sturmangriff keinen Augenblick in Verwirrung geriet, sondern es vorzüglich verstand, sich zu beherrschen und den Erpresser, der in dem ihm eigenen Stil sprach, zu Ende anzuhören – und das alles aus »Großzügigkeit«. Nun, selbstverständlich wird sie zuerst ein wenig rot geworden sein, aber dann wird sie sich zusammengenommen und ihn bis zu Ende angehört haben. Und wenn ich mir dieses unnahbare, stolze, wirklich vornehm-würdevolle, mit solchem Verstand begabte Mädchen Hand in Hand mit Lambert vorstelle, so ... Aber das ist es ja eben: mit solchem Verstand begabt! Wenn der russische Verstand solche Dimensionen annimmt, so neigt er zur Großzügigkeit, und besonders der weibliche Verstand, und besonders unter solchen Umständen!
    Jetzt fasse ich das Gesagte zusammen: an dem Tag und zu der Stunde, da ich zum erstenmal nach meiner Krankheit wieder ausging, hatte Lambert (das weiß ich jetzt völlig sicher) sich die folgenden beiden Projekte zurechtgelegt: erstens, sich von Anna Andrejewna für das Schriftstück einen Wechsel über nicht weniger als dreißigtausend Rubel geben zu lassen, ihr dann bei der Einschüchterung des Fürsten zu helfen, ihn zu entführen und sie schnell mit ihm trauen zu lassen – kurz, etwas in dieser Art. Der Plan war schon vollständig ausgearbeitet; sie warteten nur auf meine Hilfe, das heißt auf das Schriftstück.
    Das zweite Projekt: Anna Andrejewna zu verraten, im Stich zu lassen und das Schriftstück an die Generalin Achmakowa zu verkaufen, wenn das vorteilhafter sein sollte. Dabei spekulierte er auch auf Bjoring. Aber bei der Generalin hatte sich Lambert noch nicht gezeigt; er hatte erst um sie herumspioniert. Auch bei diesem Projekt rechnete er auf mich.
    Oh, er bedurfte meiner, das heißt, nicht meiner, sondern des Schriftstücks! In bezug auf mich hatte er ebenfalls zwei Pläne entworfen. Der erste bestand darin, wenn es denn schon nicht anders ging, mit mir zusammen zu operieren und mit mir halbpart zu machen, nachdem er sich meiner vorher sowohl in moralischer als auch in physischer Hinsichtbemächtigt hatte. Aber der zweite Plan gefiel ihm weit besser; er bestand darin, mich wie einen dummen Jungen hinters Licht zu führen und mir das Schriftstück zu stehlen oder es mir sogar einfach mit Gewalt wegzunehmen. Mit diesem Plan liebäugelte er besonders gern in seinen stillen Träumereien. Ich wiederhole: es war da ein gewisser Umstand, der ihn an dem Gelingen des zweiten Plans beinahe nicht zweifeln ließ; aber, wie gesagt, ich werde das erst später erklären. Jedenfalls wartete er auf mich mit krampfhafter Ungeduld; alles hing von

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