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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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»Laß mich ziehen, teure Gattin«, sagte er, »damit ich meine Seele rette, solange es noch möglich ist. Wenn es mir nicht gelingt, für meine Seele einen Erfolg zu erzielen, so werde ich nicht mehr zurückkehren. Ich bin hart und grausam gewesen und habe anderen das Leben schwer gemacht, aber ich meine, daß der Herr das Leid und die Pilgerfahrten, die mir bevorstehen, nicht unbelohnt lassen wird, denn all dies zu verlassen ist kein kleines Kreuz und kein kleines Leid.« Und seine Frau redete ihm unter vielen Tränen gütlich zu, er möchte doch dableiben: »Du bist jetzt der einzige, den ich auf Erden habe; auf wen soll ich mich stützen, wenn du mich verläßt? Ich habe dich in diesem Jahr von Herzen liebgewonnen«, sagte sie. Und die ganze Stadt suchte ihn einen ganzen Monat lang von seinem Vorhaben abzubringen, und sie baten ihn und wollten ihn mit Gewalt zurückhalten. Aber er hörte nicht auf sie und ging heimlich in einer Nacht fort und kehrte nicht mehr zurück. Und wie man hört, zieht er noch bis auf den heutigen Tag mühselig in Geduld als Pilger umher und schickt seiner lieben Frau jährlich einmal Nachricht von sich.

Viertes Kapitel
     
I
     
    Ich komme jetzt zu der endgültigen Katastrophe, die den Schluß meiner Aufzeichnungen bilden soll. Aber um fortfahren zu können, muß ich vorher vorgreifen und etwas darlegen, was ich zur Zeit jener Handlungen noch nicht wußte, sondern erst viel später erfuhr und mir daher auch erst viel später völlig erklären konnte, das heißt damals, als bereits alles zu Ende war. Auf andere Weise weiß ich mich nicht verständlich zu machen, da ich alles würde in Rätseln schreiben müssen. Und daher setze ich eine schlichte, einfache Darlegung hierher, unter Verzicht auf das sogenannte Kunstprinzip, und tue so, als ob nicht ich es wäre, der dies schreibt, sondern ich schreibe ohne Anteilnahmemeines Herzens, in der Art eines kleinen Zeitungsartikels.
    Die Sache ist die, daß mein Schulfreund Lambert mit vollem Recht zu jenen schändlichen kleinen Halunken gezählt werden mußte, die sich in Banden zusammentun, um Erpressungen zu verüben – ein Vergehen, für das man jetzt im Strafgesetzbuch eine Definition gesucht und eine Strafe festgesetzt hat. Die Bande, bei welcher Lambert mit tätig gewesen war, hatte sich in Moskau gebildet und dort eine ziemliche Anzahl übler Streiche ausgeführt (in der Folge ist ihr Treiben zum Teil aufgedeckt worden). Ich habe später gehört, daß sie in Moskau eine Zeitlang einen höchst erfahrenen, klugen Anführer gehabt hätten, einen schon älteren Mann. Die Unternehmungen wurden von der ganzen Bande oder auch nur von Teilen derselben ins Werk gesetzt. Sie führten außer den schmutzigsten Streichen, deren Wiedergabe die Zensur nicht gestatten würde (über die aber doch schon Mitteilungen in den Zeitungen erschienen sind), unter der Leitung ihres Chefs auch ziemlich komplizierte und sogar schlaue Unternehmungen aus. Von einigen derselben habe ich später Kenntnis erhalten, will aber nicht näher darauf eingehen. Ich erwähne nur, daß ihr Verfahren im wesentlichen darin bestand, irgendwelche Geheimnisse aus dem Leben von Leuten auszukundschaften, die manchmal höchst ehrenwert waren und recht hohe Stellungen einnahmen; dann erschienen sie bei diesen Personen und drohten mit der Veröffentlichung von Schriftstücken (die sie manchmal gar nicht besaßen) und forderten für ihr Schweigen Geld. Es gibt Dinge, die nicht sündhaft und ganz und gar nicht kriminell strafbar sind, deren Veröffentlichung aber sogar ein ordentlicher, charakterfester Mensch fürchtet. Vorzugsweise hatten sie es auf Familiengeheimnisse abgesehen. Um zu zeigen, wie geschickt ihr Chef manchmal operierte, will ich ohne alle Einzelheiten in wenigen Zeilen eines ihrer Stückchen berichten. In einer sehr ehrenhaften Familie ereignete sich tatsächlich etwas Sündhaftes, Strafbares: nämlich die Frau eines allgemein bekannten und geachteten Mannes ließ sich in eine geheime Verbindung mit einem jungen, reichen Offizier ein. Sie schnüffelten das aus und verfuhren nun folgendermaßen:sie teilten dem jungen Mann geradeswegs mit, daß sie den Ehemann benachrichtigen würden. Beweise hatten sie nicht die geringsten in Händen, und der junge Mann wußte das ganz genau, ja, sie selbst machten keinen Hehl daraus; aber die ganze Geschicklichkeit des Manövers und die ganze Schlauheit der Spekulation bestand in diesem Fall nur in der Überlegung, daß der benachrichtigte

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