Der Jüngling
Worte deutlich herauszubringen, was ich mit Bestimmtheit in Erinnerung behalten hatte; indessen stellte sich tatsächlich heraus, daß ich damals weit deutlicher geredet hatte, als ich nachher annahm und hoffte. Aber die Hauptsache war, daß das alles erst später herauskam, erst lange nachher, und gerade das war für mich das Verhängnisvolle.
Aus meinem irren Geschwätz, meinem Phantasieren, meinem Gerede, meinem entzückten Gestammel und so weiter hatte er erstens beinahe alle Familiennamen in genauer Form und sogar einige Adressen entnommen. Zweitens hatte er sich eine ziemlich zutreffende Vorstellung davon bilden können, was für eine Stellung diese Personen einnahmen (der alte Fürst, sie, Bjoring, Anna Andrejewna und sogar Wersilow); drittens hatte er erfahren, daß ich mich beleidigt fühlte und Rache zu nehmen drohte, und endlich viertens die Hauptsache: er hatte erfahren, daß ein geheimes, verborgenes Schriftstück existierte, ein Brief, den man dem halbverrückten alten Fürsten nur zu zeigen brauche, und wenn dieser ihn dann durchgelesen und daraus ersehen habe, daß seine eigene Tochter ihn für verrückt halte und schon deswegen »Juristen konsultiert« habe, wie man ihn einsperren könne, dann werde er entweder vollständig den Verstand verlieren oder sie aus dem Hause jagen und enterben oder eine gewisse Mademoiselle Wersilowa heiraten, die er jetzt schon heiraten wolle, was man ihm aber nicht erlaube. Kurz, Lambert hatte sehr vieles verstanden; ohne Zweifel war ihm auch furchtbar vieles dunkel geblieben, aber der berufsmäßige Erpresser war doch auf eine zuverlässige Spur geraten. Als ich dann von Alfonsina weggelaufen war, hatte er sich unverzüglich meine Adresse verschafft (auf die einfachste Weise: im Adreßbüro) und dann schleunigst die erforderlichen Nachforschungenangestellt, aus denen er erfahren hatte, daß alle diese Personen, von denen ich in meinem fieberhaften Zustand geredet hatte, wirklich existierten. Dann hatte er sofort den ersten Schritt unternommen.
Die Hauptsache war, daß ein Schriftstück existierte und daß ich sein Besitzer war; daß dieses Schriftstück einen hohen Wert hatte, daran zweifelte Lambert nicht. Ich lasse hier einen Umstand weg, von dem besser erst später und am geeigneten Ort zu reden sein wird, und erwähne hier nur, daß es ganz besonders dieser Umstand war, durch den Lambert in seiner Überzeugung von der tatsächlichen Existenz und hauptsächlich von dem hohen Wert dieses Schriftstücks bestärkt wurde. (Es war dies, wie ich hier vorausschicke, ein verhängnisvoller Umstand, den ich mir in keiner Weise vorstellen konnte, weder damals noch bis zum Ende all dieser Ereignisse, als alles auf einmal zusammenstürzte und von selbst seine Aufklärung fand.) Da er also auf diese Weise über den Hauptpunkt zu einer bestimmten Überzeugung gelangt war, so bestand sein erster Schritt darin, daß er zu Anna Andrejewna hinfuhr.
Dabei aber ist es für mich bis auf den heutigen Tag ein Rätsel, wie er, Lambert, es fertiggebracht hat, zu einer so unzugänglichen, vornehmen Dame wie Anna Andrejewna vorzudringen und mit ihr Beziehungen anzuknüpfen. Allerdings hatte er Erkundigungen eingezogen, aber was wollte das besagen? Allerdings war er elegant gekleidet, sprach französisch wie ein Pariser und trug einen französischen Namen, aber Anna Andrejewna mußte doch unbedingt in ihm sogleich den Schurken erkennen. Oder man müßte annehmen, daß sie gerade einen Schurken damals gut gebrauchen konnte. Doch sollte es sich wirklich so verhalten haben?
Ich habe Einzelheiten über die erste Begegnung der beiden niemals in Erfahrung bringen können, aber ich habe nachher oft versucht, mir diese Szene mittels der Einbildungskraft vorzustellen. Das wahrscheinlichste ist, daß Lambert vom ersten Wort und der ersten Gebärde an vor ihr den um seinen lieben, teuren Kameraden ängstlich besorgten Jugendfreund gespielt hat. Aber natürlich wird er es schon bei dieser ersten Begegnung verstanden haben,auch sehr deutlich darauf hinzuweisen, daß ich ein Schriftstück besäße, zu verstehen zu geben, daß dies ein Geheimnis sei, daß er, Lambert, der einzige Mensch sei, der um dieses Geheimnis wisse, und daß ich vorhätte, mich mittels dieses Schriftstücks an der Generalin Achmakowa zu rächen und so weiter und so weiter. Und vor allen Dingen wird er imstande gewesen sein, ihr mit möglichster Genauigkeit die Bedeutung und den Wert dieses Schriftstücks auseinanderzusetzen. Was Anna
Weitere Kostenlose Bücher