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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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mir ab: welche Schritte er tun und wozu er sich entschließen sollte.
    Aber ich muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen: vorläufig hatte er sich beherrscht, trotz seines hitzigen Temperaments. Er war während meiner Krankheit nicht bei mir im Hause erschienen; nur einmal war er gekommen und hatte mit Wersilow gesprochen; er hatte mich nicht beunruhigt, mich nicht erschreckt; er hatte mir gegenüber bis zu dem Tag und der Stunde meines ersten Ausgangs den Schein gewahrt, als interessiere er sich für die Sache gar nicht. Was die Möglichkeit anlangte, ich könnte das Schriftstück jemandem übergeben oder jemandem davon Mitteilung machen oder es vernichten, so war er darüber beruhigt. Aus dem, was ich damals bei ihm gesagt hatte; konnte er schließen, welchen Wert ich selbst auf die Geheimhaltung legte und wie sehr ich fürchtete, daß jemand etwas von dem Schriftstück erfahren könnte. Und daß ich gleich am ersten Tag nach meiner Genesung zuerst zu ihm und keinem andern gehen würde, daran zweifelte er keinen Augenblick: Darja Onissimowna war teilweise in seinem Auftrag zu mir gekommen, und er wußte, daß bei mir bereits Neugier und Furcht erregt waren und ich nicht würde warten können ... Und außerdem hatte er alle Maßregeln getroffen und konnte sogar den Tag meines ersten Ausgangs erfahren, so daß ich ihm gar nicht zu entgehen vermochte, selbst wenn ich es gewollt hätte.
    Aber wenn Lambert auf mich wartete, so wartete Anna Andrejewna auf mich vielleicht mit noch größerer Ungeduld. Ich sage geradezu: Lambert war vielleicht zum Teil im Recht, wenn er vorhatte, sie zu verraten, und die Schuld war auf ihrer Seite. Denn obwohl sie zweifellos miteinandereinig geworden wären (in welcher Form, das weiß ich nicht, aber sonst habe ich daran keinen Zweifel), so war doch Anna Andrejewna bis zum letzten Augenblick nicht völlig offen zu ihm. Sie ließ ihn nicht auf den Grund ihrer Seele blicken. Sie hatte ihm angedeutet, daß sie ihrerseits mit allem einverstanden sei und ihm die Erfüllung aller seiner Forderungen verspreche, aber sie hatte das eben auch nur angedeutet; sie hatte seinen ganzen Plan vielleicht mit allen Einzelheiten angehört, ihn aber nur durch Schweigen gebilligt. Ich habe bestimmte Anhaltspunkte, aus denen ich das schließe; der Grund aber für dieses ganze Verhalten war, daß sie auf mich wartete . Sie wollte lieber mit mir zu tun haben als mit dem Gauner Lambert; das ist für mich eine unbezweifelbare Tatsache! Dafür habe ich Verständnis; aber ihr Fehler bestand darin, daß dies schließlich auch Lambert durchschaute. Für ihn aber wäre es doch gar zu unvorteilhaft gewesen, wenn sie mit Übergehung seiner Person mir das Schriftstück entlockt und sich mit mir geeinigt hätte. Überdies war er damals bereits von der Solidität der »Sache« überzeugt. Ein anderer wäre an seiner Stelle ängstlich gewesen und hätte immer noch gezweifelt; aber Lambert war jung, dreist, voll der ungeduldigsten Gewinnsucht; er kannte die Menschen wenig und hielt sie unzweifelhaft alle für Schurken; ein solcher Mensch konnte nicht wankend werden, um so weniger, als er aus Anna Andrejewna schon die wichtigsten Bestätigungen seiner Annahmen herausgelockt hatte.
    Nun noch ein letzter, besonders wichtiger Punkt: wußte Wersilow schon an jenem Tage etwas, und hatte er schon damals Anteil an irgendwelchen, wenn auch noch fernliegenden Plänen Lamberts? Nein, nein, nein, damals noch nicht, wenn auch vielleicht schon ein verhängnisvolles Wort gefallen war ... Aber genug davon, genug davon, ich greife zu sehr vor.
    Nun, und wie stand es mit mir? Wußte ich schon etwas am Tage meines ersten Ausgangs, und was wußte ich? Als ich diesen kleinen Zeitungsartikel begann, habe ich erklärt, ich hätte am Tage meines ersten Ausgangs noch nichts gewußt; ich hätte alles erst viel später erfahren, sogar erst, als schon alles zu Ende war. Das ist die Wahrheit, aberist es auch die volle Wahrheit? Nein, die volle Wahrheit ist es nicht; ich wußte ohne Zweifel dies und jenes; ich wußte sogar recht viel, aber wie wußte ich es? Der Leser erinnere sich an jenen Traum ! Wenn ich schon so etwas träumen konnte, wenn schon ein solcher Traum aus meinem Herzen hervordringen und Gestalt annehmen konnte, so wußte ich zwar offenbar noch nicht, aber ich ahnte doch schon sehr vieles von dem, was ich soeben dargelegt habe und was ich in Wirklichkeit erst dann erfuhr, als »schon alles zu Ende war«. Wissen tat ich nichts; aber mein

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