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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Übrigens kann man über solche Aussprüche nicht so ohne weiteres urteilen; man muß die Umstände kennen, unter denen sie getan sind.
    Allmählich kam Lisa zu der Schlußfolgerung, daß er auch über den Fürsten vielleicht nur deshalb nachsichtig urteilte, weil für ihn alle Menschen gleich waren und »keine Unterschiede existierten«, und keineswegs aus Teilnahme für ihn; schließlich aber begann er offensichtlich seinen Gleichmut zu verlieren und den Fürsten nicht nur zu tadeln, sondern sich auch über ihn mit geringschätziger Ironie zu äußern. Darüber war Lisa aufgebracht, aber Wassin verblieb bei diesem Benehmen. Eigenartig war dabei, daß er sich immer sehr milde ausdrückte und sogar seinen Tadel nicht im Ton des Unwillens aussprach, sondern ihr einfach durch logische Schlüsse die Nichtswürdigkeit ihres Helden bewies; aber gerade in dieser logischen Beweisführung lag die Ironie. Schließlich bewies er ihr fast unverblümt die ganze »Unverständigkeit« ihrer Liebe, die ganze eigensinnige Gewaltsamkeit dieser Liebe. »Sie haben sich in Ihren Gefühlen verirrt, und Gefühlsverirrungen muß man, sobald man sich ihrer bewußt geworden ist, unter allen Umständen korrigieren.«
    Das hatte er gerade an jenem Tage gesagt; Lisa war empört aufgestanden, um wegzugehen; aber was tat dieser verständige Mensch nun zum Schluß: mit der edelstenMiene und sogar in gefühlvoller Weise trug er ihr seine Hand an. Lisa sagte ihm gleich ins Gesicht, er sei ein Dummkopf, und ging hinaus.
    Einer Frau vorzuschlagen, sie solle einem Unglücklichen deshalb untreu werden, weil dieser Unglückliche ihrer nicht wert sei, und besonders dies einer Frau vorzuschlagen, die von diesem Unglücklichen schwanger ist – da sieht man den Verstand dieser Leute! Ich nenne das eine arge theoretische Verstiegenheit und eine vollständige Unkenntnis des Lebens, die aus maßloser Eigenliebe hervorgeht. Und überdies erkannte Lisa mit größter Klarheit, daß er sogar auf seine Handlungsweise stolz war, vielleicht deswegen, weil er schon von ihrer Schwangerschaft wußte. Mit Tränen der Entrüstung eilte sie zum Fürsten, und was tat der? Er überbot Wassin noch: man sollte meinen, nach dieser Erzählung hätte er davon überzeugt sein können, daß zur Eifersucht kein Anlaß bestand; aber gerade nun benahm er sich wie ein Verrückter. Übrigens machen es ja alle Eifersüchtigen so! Er machte ihr eine furchtbare Szene und kränkte sie dermaßen, daß sie nahe daran war, alle Beziehungen zu ihm sofort abzubrechen.
    Dennoch beherrschte sie sich noch, als sie nach Hause gekommen war; nur konnte sie sich nicht enthalten, Mama alles zu bekennen. Oh, an jenem Abend schlossen sie sich wieder ganz so eng aneinander an wie früher: das Eis war gebrochen. Beide weinten sich selbstverständlich, wie das ihre Gewohnheit war, einander umschlungen haltend, aus, und es schien auch, daß Lisa sich beruhigte, obwohl sie sehr ernst und trüb blieb. Den Abend über saß sie bei Makar Iwanowitsch, ohne ein Wort zu reden, aber auch ohne das Zimmer zu verlassen. Sie hörte aufmerksam mit an, was er sagte. Seit jener Geschichte mit der Fußbank erwies sie ihm eine große, sozusagen schüchterne Ehrerbietung, obgleich sie immer schweigsam blieb.
    Aber diesmal gab Makar Iwanowitsch dem Gespräch eine unerwartete Wendung, die alle in Erstaunen versetzte; ich bemerke, daß Wersilow und der Doktor am Vormittag mit sehr ernsten Gesichtern über sein Befinden gesprochen hatten. Ich bemerke ferner, daß in unserer Familie schon seit mehreren Tagen Vorbereitungen zur Feier von MamasGeburtstag getroffen wurden, der in fünf Tagen bevorstand, und daß häufig davon gesprochen wurde. Anläßlich dieser Gespräche geriet Makar Iwanowitsch auf einmal in alte Erinnerungen hinein und erzählte von Mamas Kindheit und von der Zeit, wo sie noch nicht habe »auf den Beinchen stehen« können. »Sie ging mir nicht vom Arm«, erzählte der Alte, »manchmal lehrte ich sie auch gehen: ich stellte sie drei Schritte von mir entfernt in eine Ecke und rief sie dann, und sie wackelte durchs Zimmer auf mich los und fürchtete sich nicht und lachte, und wenn sie dann zu mir hingelaufen war, stürzte sie auf mich zu und schlang die Arme um meinen Hals. Und Märchen habe ich dir nachher erzählt, Sofja Andrejewna; du hörtest meine Märchen sehr gern; du konntest ein paar Stunden auf meinen Knien sitzen und zuhören. Alle im Hause wunderten sich: ›Nun seht mal an, wie sie an Makar hängt!‹

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