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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Herz pochte heftig von bangen Ahnungen, und böse Geister beherrschten meine Träume. Und nun zog es mich zu diesem Menschen hin, obwohl mir genau bekannt war, was das für ein Mensch war, und obwohl ich sogar die Einzelheiten seiner Pläne ahnte! Und warum zog es mich zu ihm hin? Man stelle sich vor: jetzt, gerade in dem Augenblick, wo ich dies schreibe, scheint es mir, als hätte ich schon damals bis in alle Einzelheiten gewußt, warum es mich zu ihm hinzog, während ich doch zu jener Zeit noch nichts wußte. Vielleicht versteht das der Leser. Jetzt aber will ich zur Sache kommen und lauter Tatsachen berichten.

II
    Es begann damit, daß schon zwei Tage vor meinem ersten Ausgang Lisa am Abend in großer Aufregung nach Hause kam. Sie fühlte sich beleidigt, und in der Tat war das, was ihr widerfahren war, nicht zu ertragen.
    Ich habe schon ihre Beziehungen zu Wassin erwähnt. Sie ging zu ihm hin, nicht nur, um uns zu zeigen, daß sie uns nicht brauchte, sondern auch, weil sie Wassin wirklich sehr hoch achtete. Die Bekanntschaft hatte schon in Luga begonnen, und ich hatte immer die Empfindung gehabt, daß Wassin sich für sie interessierte. In dem Unglück, das sie betroffen hatte, konnte sie natürlich den Wunsch hegen, einen charakterfesten, ruhigen, immer edeldenkenden Mann, für den sie Wassin hielt, um Rat zu fragen. Zudem verstehen es die Frauen nicht besonders, den Verstand eines Mannes zu beurteilen, wenn ihnen der Mann selbst gefällt, und nehmen dann Paradoxien gern für streng logischeSchlüsse, wenn sie mit ihren eigenen Wünschen übereinstimmen. An Wassin gefiel meiner Schwester seine Teilnahme für ihre Situation und, wie es ihr bei den ersten Besuchen vorkam, seine Teilnahme auch für den Fürsten. Da sie zudem seine Neigung zu ihr ahnte, mußte sie ihm die Teilnahme für seinen Rivalen besonders hoch anrechnen. Der Fürst aber, dem sie selbst gesagt hatte, daß sie manchmal zu Wassin gehe, um sich bei ihm Rat zu holen, hatte diese Mitteilung gleich vom erstenmal an mit großer Beunruhigung aufgenommen; er war eifersüchtig geworden. Lisa fühlte sich dadurch gekränkt und setzte nun aus Trotz ihre Besuche bei Wassin erst recht fort. Der Fürst sagte nichts mehr darüber, machte aber ein finsteres Gesicht. Lisa selbst hat mir später (sehr lange nachher) gestanden, daß Wassin ihr damals sehr bald nicht mehr gefallen habe; er war ruhig, und gerade diese stete, gleichmäßige Ruhe, die ihr am Anfang so zugesagt hatte, machte auf sie später einen ziemlich unangenehmen Eindruck. Er schien in Dingen des praktischen Lebens Erfahrung zu besitzen und gab ihr tatsächlich einige anscheinend gute Ratschläge, aber es traf sich sonderbar, daß sich diese Ratschläge sämtlich als unausführbar erwiesen. Er urteilte sehr von oben herab und legte sich ihr gegenüber keinerlei Zwang auf; diese Zwanglosigkeit wurde mit der Zeit immer größer, was Lisa seiner wachsenden, ungewollten Verachtung für ihre Lage zuschrieb. Einmal hatte sie ihm dafür gedankt, daß er sich mir gegenüber beständig so freundlich benehme und, obwohl er an Verstand hoch über mir stehe, dennoch mit mir wie mit seinesgleichen rede (das, heißt, sie hatte ihm meine eigenen Worte wiederholt). Er antwortete ihr:
    »So ist das nicht; das ist nicht der Grund. Der Grund ist der, daß ich zwischen ihm und anderen Menschen keinen Unterschied sehe. Ich halte ihn weder für dümmer als die Klugen noch für schlechter als die Guten. Ich benehme mich gegen alle Menschen in gleicher Weise, weil sie in meinen Augen alle gleich sind.«
    »Wie? Sehen Sie wirklich keine Unterschiede?«
    »O gewiß, alle unterscheiden sich in diesem oder jenem Punkt voneinander, aber in meinen Augen existierenkeine Unterschiede, weil die Unterschiede der Menschen mich nicht berühren: für mich sind alle gleich und ist alles gleich; und daher bin ich gegen alle gleichmäßig freundlich.«
    »Und wird Ihnen das nicht langweilig?«
    »Nein, ich bin immer mit mir zufrieden.«
    »Und Sie haben keine Wünsche?«
    »Wie sollte ich keine Wünsche haben? Aber keine aufregenden. Ich brauche fast nichts, nicht einen Rubel mehr, als ich habe. Ob ich ein goldenes Kleid trage oder ein solches, wie ich es jetzt anhabe, das ist ganz gleich. Das goldene Kleid würde Wassins Wert nicht erhöhen. Leckere Speisen verlocken mich nicht; könnten etwa äußere Ehren und Würden den Wert des Platzes haben, auf dem ich stehe?«
    Lisa beteuerte mir, daß er sich buchstäblich so ausgedrückt habe.

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