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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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austilgen und ihr ihren eigenen Wert und all die schönen Eigenschaften, durch die sie mich sogar überragte, klarmachen wollte. Oh, ich wußte auch damals schon nur zu gut, daß ich deine Mama immer sofort zu lieben anfing, sobald ich von ihr getrennt war, und immer plötzlich ihr gegenüber abkühlte, sobald ich wieder mit ihr zusammenkam; aber in jenem Fall lag die Sache doch anders, ganz anders.«
    Ich war erstaunt. ›Und sie? ‹ Diese Frage blitzte in meinem Kopfe auf.
    »Nun, und wie gestaltete sich damals Ihr Zusammentreffen mit Mama?« fragte ich vorsichtig.
    »Damals? Ich kam damals überhaupt nicht mit ihr zusammen. Sie gelangte damals nur bis Königsberg, und dort blieb sie, ich aber war am Rhein. Ich fuhr nicht zu ihr hin, sondern wies sie an, dazubleiben und auf mich zu warten. Wir sahen uns erst viel später wieder, oh, erst lange nachher, als ich zu ihr hinfuhr, um sie um ihre Erlaubnis zu meiner beabsichtigten Heirat zu bitten ...«

II
     
    Von hier an werde ich nur den Kern der Sache wiedergeben, das heißt nur das, was ich selbst davon habe verstehen können; denn auch er begann hier unzusammenhängendzu reden. Seine Darstellung wurde, sobald er an diesen Punkt gekommen war, sehr viel zusammenhangloser und unordentlicher als vorher.
    Er war plötzlich Katerina Nikolajewna begegnet, gerade damals, als er auf Mama wartete, zum Zeitpunkt der ungeduldigsten Erwartung. Sie waren alle damals am Rhein, in einem Badeort, und machten alle dort eine Kur. Katerina Nikolajewnas Mann war schon so gut wie gestorben; wenigstens hatten die Ärzte ihn bereits aufgegeben. Gleich bei der ersten Begegnung machte sie auf ihn einen starken Eindruck und bezauberte ihn durch irgend etwas. Das war ein Fatum. Es ist beachtenswert, daß ich, während ich jetzt dies niederschreibe und mein Gedächtnis anstrenge, mich nicht erinnern kann, daß er damals auch nur ein einziges Mal in seiner Erzählung das Wort »Liebe« und die Wendung, er sei »verliebt« gewesen, gebrauchte. Dagegen entsinne ich mich des Wortes »Fatum«.
    Und allerdings war es ein Fatum gewesen. Er hatte dieses Fatum nicht gewollt , hatte sich dagegen gesträubt zu lieben. Ich weiß nicht, ob ich das klar wiederzugeben verstehe; aber seine ganze Seele war gerade durch die Tatsache, daß ihm das begegnen konnte, in die größte Empörung versetzt worden. Alles, was an freiem Willen in ihm vorhanden gewesen war, war mit einem Schlag durch diese Begegnung vernichtet worden, und dieser Mensch war nun für sein ganzes Leben an eine Frau angeschmiedet, die sich gar nichts aus ihm machte. Diese Sklaverei der Leidenschaft war ihm zuwider. Ich will es jetzt geradeheraus sagen: Katerina Nikolajewna ist ein seltener Typ einer vornehmen Dame – ein Typ, der in diesen Kreisen sonst vielleicht überhaupt nicht vorkommt. Es ist der Typ einer im höchsten Grade schlichten, redlichen Frau. Ich habe gehört, das heißt, ich weiß zuverlässig, daß sie gerade dadurch in der Gesellschaft so unwiderstehlich war, wenn sie sich in ihr zeigte (sehr häufig hielt sie sich von ihr ganz fern). Wersilow glaubte selbstverständlich damals bei der ersten Begegnung mit ihr nicht, daß sie so wäre, sondern glaubte gerade das Gegenteil, das heißt, daß sie eine Heuchlerin und Jesuitin sei. Ich gebe hier im voraus ihr eigenesUrteil über ihn an: sie sprach sich dahin aus, er habe gar nicht anders von ihr denken können, »denn«, sagte sie, »ein Idealist, der sich mit der Stirn an der Wirklichkeit stößt, neigt stets mehr als andere Leute dazu, an alle möglichen Schändlichkeiten zu glauben«. Ich weiß nicht, ob das, so allgemein von den Idealisten gesagt, richtig ist, aber in bezug auf ihn war es allerdings vollkommen richtig. Ich schreibe hier auch mein eigenes Urteil nieder, das in meinem Kopf auftauchte, als ich ihm damals zuhörte: mein Gedanke war, daß er Mama mehr mit einer sozusagen humanen, allgemein menschenfreundlichen Liebe geliebt habe, als einfach mit derjenigen Liebe, mit der man gewöhnlich die Frauen liebt, und sowie er einer Frau begegnet sei, die er mit dieser einfachen Liebe liebgewann, habe er sich sogleich gegen diese Liebe gesträubt, am wahrscheinlichsten nur infolge mangelnder Gewöhnung. Indessen ist dieser Gedanke vielleicht nicht richtig; ihm gegenüber habe ich ihn natürlich nicht ausgesprochen. Das wäre taktlos gewesen, und ich kann versichern, er befand sich in einem Zustand, daß er beinahe der Schonung bedurfte: er war aufgeregt, an manchen

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