Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
diesem Tag an ihn geschrieben und den er gegen fünf Uhr nachmittags empfangen hatte. Vor Aufregung fast zitternd las ich ihn durch. Er war nicht lang, aber so ehrlich und offenherzig geschrieben, daß ich beim Lesen sie selbst vor mir zu sehen und ihre Stimme zu hören glaubte. Sie gestand ihm mit der größten Aufrichtigkeit (und das wirkte beinahe rührend), daß sie sich vor ihm fürchte, und bat ihn dann mit schlichten Worten, sie »in Ruhe zu lassen«. Zum Schluß teilte sie ihm mit, daß sie jetzt Bjoring bestimmt heiraten würde. Es war das erstemal, daß sie an ihn schrieb.
    Und nun schreibe ich das auf, was ich damals von seinen Erläuterungen verstand:
    Als er kurz vorher diesen Brief durchgelesen hatte, hatte er auf einmal an sich eine ganz unerwartete Erscheinung wahrgenommen: zum erstenmal in diesen verhängnisvollen zwei Jahren hatte er in seinem Herzen nicht dengeringsten Haß und nicht die geringste Aufregung verspürt, während er doch noch unlängst bei dem bloßen Gerücht über Bjoring »beinahe den Verstand verloren hatte«. »Im Gegenteil, ich habe ihr von ganzem Herzen meinen Segen gegeben«, sagte er zu mir mit tiefer Empfindung. Ich hörte diese Worte voller Entzücken. Also war alles, was an Leidenschaft und Qual in ihm gesteckt hatte, auf einmal von selbst wie ein Traum, wie ein zweijähriger Taumel verschwunden. Sich selber noch nicht recht trauend, war er vorhin zu Mama geeilt – und siehe da: er kam gerade in dem Augenblick hin, als sie durch den Tod des alten Mannes, der sie ihm am vorhergehenden Tag gleichsam testamentarisch vermacht hatte, frei geworden war. Das eigentümliche Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse war es gewesen, was seine Seele so erschüttert hatte. Nicht lange darauf hatte er sich aufgemacht, um mich zu suchen, – und daß er so bald an mich gedacht hatte, das werde ich ihm nie vergessen.
    Auch den Schluß dieses Abends werde ich nie vergessen. Dieser Mensch hatte sich plötzlich wieder vollständig verwandelt. Wir saßen bis tief in die Nacht hinein zusammen. Darüber, wie alle diese »Mitteilungen« auf mich wirkten, werde ich später am geeigneten Ort sprechen; jetzt nur noch einige abschließende Worte über ihn. Wenn ich jetzt alles überdenke, so sage ich mir, daß am bezauberndsten damals auf mich seine Selbstdemütigung vor mir wirkte, seine uneingeschränkte Offenherzigkeit mir, einem so jungen Menschen gegenüber! »Es war ein betäubender Nebel, aber auch er sei gesegnet!« rief er. »Ohne diese Verblendung hätte ich vielleicht niemals in meinem Herzen sie gefunden, die einzig und allein und allezeit als Königin darin herrschen soll, meine Märtyrerin – deine Mutter.« Diese begeisterten Worte, die unwiderstehlich aus ihm hervorbrachen, notiere ich besonders im Hinblick auf die weitere Entwicklung. Aber damals rührten und besiegten sie mein Herz.
    Ich erinnere mich, daß wir zuletzt überaus vergnügt wurden. Er ließ Champagner bringen, und wir tranken auf Mamas Wohl und auf »die Zukunft«. Oh, er war so voll Lebenslust und nahm sich mit solchem Eifer vor zu leben! Aber unsere große Lustigkeit kam nicht vom Wein her:wir hatten jeder nur zwei Glas getrunken. Ich weiß nicht, wie es zuging, aber zuletzt lachten wir fast unaufhörlich. Wir fingen an, von ganz fernliegenden Dingen zu reden; er erzählte Anekdoten und ich ihm ebenfalls. Unser Lachen und unsere Anekdoten waren nicht im geringsten boshaft und spöttisch, aber doch waren wir lustig. Er wollte mich gar nicht fortlassen: »Bleib doch noch, bleib doch noch ein Weilchen sitzen!« sagte er immer wieder, und ich blieb. Er kam sogar mit hinaus, um mich zu begleiten; es war ein wundervoller Abend, es hatte leicht gefroren.
    »Sagen Sie: haben Sie ihr schon eine Antwort geschickt?« fragte ich auf einmal ganz von ungefähr, als ich ihm an einer Straßenkreuzung zum letztenmal die Hand drückte.
    »Nein, noch nicht, aber das macht ja nichts. Komm morgen zu mir, komm recht früh ... Ja, noch eins: mach dich ganz von Lambert los und das ›Schriftstück‹ zerreiße, und zwar so schnell wie möglich! Leb wohl!«
    Nach diesen Worten ging er davon; ich aber blieb auf meinem Fleck stehen und war dermaßen verblüfft, daß ich mich nicht zu der Bitte aufraffte, er möchte noch einmal umkehren. Der Ausdruck »das Schriftstück« frappierte mich besonders: von wem in aller Welt konnte er das erfahren haben, und zudem in so genauen Ausdrücken, wenn nicht von Lambert? Ich kehrte in starker Aufregung

Weitere Kostenlose Bücher