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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Geheimnisse eindringen.«
    Aber da sie nicht fortging und immer noch stehenblieb,nahm ich meinen Pelz und meine Mütze, ging selbst hinaus und ließ sie mitten im Zimmer stehen. Briefe und Papiere waren in meinem Zimmer nicht vorhanden, und ich hatte es auch früher fast nie zugeschlossen, wenn ich wegging. Aber ich war noch nicht an die Haustür gelangt, als mir mein Wirt Pjotr Ippolitowitsch ohne Hut und in seiner Dienstuniform die Treppe herunter nachgelaufen kam.
    »Arkadij Makarowitsch, Arkadij Makarowitsch!«
    »Was wollen Sie denn noch?«
    »Haben Sie keine Befehle beim Weggehen?«
    »Nein.«
    Er sah mich in offensichtlicher Unruhe mit prüfendem Blick an.
    »Hinsichtlich der Wohnung zum Beispiel?«
    »Was heißt das: ›hinsichtlich der Wohnung‹? Ich habe Ihnen doch die Miete zum Termin bezahlt?«
    »Aber nein, ich rede ja nicht von dem Geld«, erwiderte er, indem er den Mund zu einem breiten Lächeln verzog und fortfuhr, mich mit seinen Blicken zu fixieren.
    »Was haben Sie denn nur alle?« schrie ich; ich war endlich ganz wütend geworden. »Was wollen Sie noch von mir?«
    Er zögerte noch ein paar Sekunden, wie wenn er immer noch etwas von mir erwartete.
    »Na, also dann werden Sie mir Ihre Befehle später erteilen... wenn Sie jetzt nicht in der Stimmung sind«, murmelte er und zog den lächelnden Mund noch mehr in die Breite. »Gehen Sie nur; ich muß auch selbst zum Dienst.«
    Er lief wieder die Treppe nach seiner Wohnung hinauf. Alles dies konnte einen natürlich nachdenklich machen. Ich lasse absichtlich auch nicht die geringste Einzelheit von diesem ganzen damaligen, kleinlichen Unsinn fort, weil jede derartige Einzelheit sich nachher in das abschließende Gesamtbild einfügt und in ihm ihren Platz findet, wovon sich der Leser überzeugen wird. Daß aber diese Menschen mich damals wirklich ganz aus der Fassung brachten, ist richtig. Wenn ich so aufgeregt und reizbar war, so kam das eben daher, daß ich wieder in ihren Worten jenen Tonder Intrigen und Rätsel hörte, der mir so verhaßt war und mich so an die frühere Zeit erinnerte. Aber ich fahre fort.
    Wersilow fand ich nicht zu Hause; er war wirklich schon vor Tagesanbruch weggegangen. ›Gewiß zu Mama‹, dachte ich, hartnäckig bei meiner Meinung bleibend. Die Kinderfrau, ein ziemlich dummes Frauenzimmer, mochte ich nicht fragen, und außer ihr war niemand in der Wohnung. Ich ging eilig zu Mama, und ich muß gestehen, ich befand mich in solcher Unruhe, daß ich mir auf halbem Weg eine Droschke nahm. Aber bei Mama war er seit dem vorigen Abend nicht wieder gewesen. Bei Mama befanden sich nur Tatjana Pawlowna und Lisa. Lisa machte sich, gleich nachdem ich gekommen war, zum Ausgehen fertig.
    Sie saßen alle oben, in meinem »Sarg«. In unserem Wohnzimmer unten lag auf dem Tisch die Leiche Makar Iwanowitschs, neben welcher ein alter Mann in gleichmäßigem Tonfall den Psalter las. Ich will jetzt nichts mehr beschreiben, was nicht direkt zur Sache gehört; ich merke nur an, daß der Sarg, den sie schon beschafft hatten und der ebendort im Zimmer stand, kein gewöhnlicher war; er war zwar nur schwarz, aber mit Samt ausgeschlagen, und die Decke über der Leiche war sehr kostbar – ein Luxus, der weder dem Stand des alten Mannes noch seinen Anschauungen entsprach; aber das war eben Mamas und Tatjana Pawlownas gemeinsamer dringender Wunsch gewesen.
    Selbstverständlich hatte ich nicht erwartet, sie in heiterer Stimmung vorzufinden; aber der besondere, niederdrückende, mit Sorge und Unruhe gepaarte Kummer, den ich in ihren Augen las, fiel mir von vornherein auf, und ich sagte mir gleich, daß da sicherlich der Todesfall nicht die einzige Ursache war. All das habe ich, wie ich wiederhole, sehr genau im Gedächtnis behalten.
    Trotz alledem umarmte ich Mama zärtlich und fragte sogleich nach ihm . In Mamas Augen leuchtete momentan eine ängstliche Neugier auf. Ich erwähnte kurz, daß ich den ganzen vorigen Abend bis tief in die Nacht hinein mit ihm zusammengesessen hätte, daß er aber heute schon von Tagesanbruch an nicht zu Hause sei, obwohl er mich doch selbst noch gestern beim Abschied aufgefordert habe, heutemöglichst früh zu ihm zu kommen. Mama antwortete nichts darauf, Tatjana Pawlowna aber paßte einen Augenblick ab, wo Mama nicht hinsah, und drohte mir mit dem Finger.
    »Leb wohl, Bruder«, sagte Lisa auf einmal kurz und verließ schnell das Zimmer. Ich eilte ihr natürlich nach, um sie einzuholen; aber sie war von selbst an der Eingangstür

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