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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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bestimmten starken Empfindung: das war der Gedanke, daß er sie nicht mehr liebe; daran glaubte ich felsenfest und hatte ein Gefühl, als ob mir jemand einen furchtbaren Stein vom Herzen herabgewälzt hätte. Ich erinnere mich sogar, daß damals eine Vermutung in meinem Kopf auftauchte: gerade sein letzter ungeheuerlicher, sinnloser Wutausbruch bei der Nachricht über Bjoring und die Absendung des damaligen beleidigenden Briefes, gerade dieses Extrem müsse gleichsam als Prophezeiung und als Vorbote des radikalsten Umschwunges in seinen Gefühlen und seiner nahen Rückkehr zur gesunden Vernunft angesehen werden;ich meinte, das sei wohl notwendig gewesen, ähnlich wie manchmal bei einer Krankheit, und er habe vor der Gesundung erst zum entgegengesetzten Pol gelangen müssen – ein medizinischer Vorgang, weiter nichts! Dieser Gedanke machte mich glücklich.
    »Und mag sie doch«, rief ich aus, »mag sie doch über ihr Lebensschicksal nach eigenem Ermessen bestimmen, mag sie doch ihren Bjoring heiraten, soviel sie will, wenn nur er, mein Vater, mein Freund, sie nicht mehr liebt!« Übrigens steckten da bei mir noch gewisse geheime eigene Gefühle dahinter, aber von denen will ich hier in meinen Aufzeichnungen nicht viel Gerede machen.
    Nun genug davon. Jetzt werde ich die ganze darauffolgende schreckliche Katastrophe und den ganzen komplizierten Verlauf der Ereignisse ohne alle Reflexionen schildern.

II
     
    Um zehn Uhr, als ich mich eben anschickte wegzugehen – selbstverständlich zu ihm –, erschien Darja Onissimowna. Erfreut fragte ich sie, ob sie von ihm komme, und hörte mit Verdruß, daß sie nicht von ihm kam, sondern von Anna Andrejewna, und daß sie, Darja Onissimowna, »schon vor Tagesanbruch« die Wohnung verlassen habe.
    »Welche Wohnung?«
    »Nun dieselbe, in der Sie gestern waren. Die Wohnung, in der sich das kleine Kind befindet; sie ist doch jetzt auf meinen Namen gemietet, und Tatjana Pawlowna bezahlt sie ...«
    »Ach, was geht mich das an!« unterbrach ich sie mißmutig.
    »Aber er, er wird doch wenigstens zu Hause sein? Werde ich ihn antreffen?«
    Und zu meiner Verwunderung erfuhr ich von ihr, daß er noch früher als sie von Hause weggegangen sei; also sie »vor Tagesanbruch« und er noch früher.
    »Na, dann wird er wohl jetzt zurückgekommen sein?«
    »Nein, er ist bestimmt nicht zurückgekommen und wird vielleicht überhaupt nicht mehr zurückkommen«, erwiderte sie und sah mich dabei mit demselben scharfen, listigen, unverwandten Blick an wie bei jenem schon früher von mirerzählten Besuch, als ich krank lag. Besonders brachte es mich auf, daß aus diesem Gerede wieder allerlei dumme Geheimniskrämerei hervorlugte und daß diese Leute ohne Geheimnisse und Listen offenbar nicht fertig werden konnten.
    »Warum haben Sie gesagt, er werde wohl nicht zurückkommen? Wie meinen Sie das? Er wird zu Mama gegangen sein – das ist die ganze Sache!«
    »Ich ... ich weiß nicht.«
    »Aber Sie selbst, was führt Sie her?«
    Sie erklärte mir, sie komme jetzt von Anna Andrejewna, und diese lasse mich rufen und erwarte mich ganz bestimmt sofort; sonst werde es zu spät sein. Bei dieser wieder so rätselhaft klingenden Wendung geriet ich ganz außer mir.
    »Warum zu spät?« rief ich. »Ich will nicht hingehen und werde nicht hingehen! Ich lasse mich nicht wieder so kommandieren! Ich pfeife auf diesen Lambert – das sagen Sie ihr nur, und wenn sie ihren Lambert zu mir schickte, so würde ich ihn mit Fußtritten wegjagen – das bestellen Sie ihr nur!«
    Darja Onissimowna bekam einen fürchterlichen Schreck.
    »Ach nicht doch!« versetzte sie, indem sie die Hände flehend zusammenlegte und näher an mich herantrat. »Seien Sie doch nicht so hastig und heftig! Es handelt sich um eine wichtige Sache; sie ist sehr wichtig für Sie und auch für Anna Andrejewna und für Andrej Petrowitsch und für Ihre Mama – für alle... Gehen Sie doch jetzt gleich zu Anna Andrejewna, denn sie kann unter keinen Umständen länger warten... das versichere ich Ihnen auf mein Wort... dann können Sie sich ja entschließen, wozu Sie wollen.«
    Ich sah sie voll Erstaunen und Widerwillen an.
    »Unsinn, es wird gar nichts los sein, ich gehe nicht hin!« rief ich eigensinnig und schadenfroh. »Jetzt wird alles neu geordnet! Aber können Sie das etwa verstehen? Leben Sie wohl, Darja Onissimowna, nun gehe ich gerade nicht hin und werde Sie auch absichtlich nicht ausfragen. Sie machen mich nur wirr im Kopf. Ich mag gar nicht in Ihre

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