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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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stehengeblieben.
    »Ich dachte mir schon, daß du mich noch würdest sprechen wollen«, flüsterte sie mir schnell zu.
    »Lisa, was ist denn passiert?«
    »Ich weiß es selbst nicht, aber es muß wohl etwas Wichtiges sein. Gewiß hat die ›alte Geschichte‹ ihre Entscheidung gefunden. Er ist nicht gekommen, aber sie haben irgendwelche Nachrichten über ihn. Sie werden dir nichts davon erzählen, da kannst du sicher sein; wenn du jedoch klug bist, so fragst du nicht danach; aber Mama ist sehr niedergeschlagen. Ich habe auch nach nichts gefragt. Leb wohl!«
    Sie öffnete die Tür.
    »Aber hast du nicht selbst etwas, was dich bekümmert, Lisa?« fragte ich und lief ihr schnell auf den Treppenflur hinaus nach. Ihre schrecklich niedergeschlagene, verzweifelte Miene schnitt mir ins Herz. Sie machte nicht so sehr ein böses, als vielmehr ein geradezu grimmiges Gesicht, lächelte bitter und winkte abwehrend mit der Hand:
    »Wenn er nur stürbe – dann würde ich Gott danken!« rief sie mir von der Treppe aus zu und ging weg. Damit meinte sie den Fürsten Sergej Petrowitsch, der zu jener Zeit im Fieber lag und bewußtlos war. Traurig, aber in großer Aufregung kehrte ich nach oben zurück.
    ›Die »alte Geschichte«. Was ist das für eine »alte Geschichte«?‹ dachte ich lebhaft interessiert und bekam plötzlich eine unbezwingliche Lust, ihnen wenigstens einen Teil der Eindrücke, die ich von seiner nächtlichen Beichte empfangen hatte, sowie den Inhalt dieser Beichte selbst zu erzählen. ›Sie denken jetzt von ihm irgend etwas Schlechtes; so mögen sie denn alles erfahren!‹ Dieser Gedanke huschte mir durch den Kopf.
    Ich erinnere mich, daß ich es auf sehr geschickte Weise fertigbrachte, meine Erzählung zu beginnen. Sofort prägtesich auf ihren Gesichtern die größte Spannung aus. Diesmal sog sich auch Tatjana Pawlowna ordentlich mit den Augen an mir fest; Mama dagegen hielt sich mehr zurück; sie war sehr ernst, aber ein leises, schönes, wiewohl völlig hoffnungsloses Lächeln schimmerte auf ihrem Gesicht auf und blieb dort während meiner ganzen Erzählung. Ich sprach natürlich in gewählten Ausdrücken, obgleich ich wußte, daß das für die beiden fast unverständlich war. Zu meiner Verwunderung suchte Tatjana Pawlowna keine Händel mit mir, bestand nicht auf genauerer Darstellung und hakte nicht mit ihren Einwürfen ein, wie es sonst immer ihre Gewohnheit war, wenn ich anfing, irgend etwas vorzutragen. Sie preßte nur ab und zu die Lippen aufeinander und kniff die Augen zusammen, wie wenn sie angestrengt einzudringen suchte. Zeitweilig schien es mir sogar, als ob sie alles verständen, aber das war doch kaum möglich. Ich sprach zum Beispiel von seinen Ansichten, besonders aber von seiner gestrigen Begeisterung, von seiner Begeisterung für Mama, von seiner Liebe zu Mama, davon, daß er ihr Bild geküßt hatte... Als sie das hörten, wechselten sie schnell und schweigend einen Blick miteinander, und Mama wurde ganz rot, aber beide schwiegen auch weiterhin. Dann aber... dann konnte ich selbstverständlich in Mamas Gegenwart den Hauptpunkt nicht berühren, das heißt die Begegnung mit ihr und alles übrige, und namentlich ihren gestrigen Brief an ihn und seine moralische »Wiedergeburt« nach dem Brief; gerade das aber war doch die Hauptsache, so daß alle seine gestrigen Gefühlsäußerungen, durch deren Wiedergabe ich Mama eine solche Freude zu machen gedachte, natürlicherweise unverständlich blieben, allerdings nicht durch meine Schuld, da ich alles, was sich erzählen ließ, sehr schön erzählt hatte. Als ich zu Ende war, quälten mich starke Zweifel: die beiden beharrten bei ihrem Stillschweigen, und das Zusammensein mit ihnen wurde mir auf einmal sehr peinlich.
    »Gewiß ist er jetzt zurückgekehrt; vielleicht aber sitzt er auch bei mir und wartet«, sagte ich und stand auf, um fortzugehen.
    »Nun ja, geh, geh!« stimmte mir Tatjana Pawlowna energisch bei.
    »Bist du unten gewesen?« fragte mich Mama beim Abschied halblaut.
    »Ja, ich habe mich vor ihm verbeugt und für ihn gebetet. Was für ein ruhiges, edles Gesicht er hat, Mama! Ich danke Ihnen, Mama, daß Sie bei dem Sarg nicht gespart haben. Anfangs kam mir das sonderbar vor, aber gleich darauf sagte ich mir, daß auch ich so gehandelt hätte.«
    »Wirst du morgen in die Kirche kommen?« fragte sie – und ihre Lippen begannen zu zittern.
    »Aber Mama!« erwiderte ich erstaunt. »Ich werde auch heute zur Seelenmesse kommen, und... zudem ist ja

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