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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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fieberhafte Ungeduld beschreiben; es war, als sei in meinem Innern alles erschüttert und zittere. Dieses Orchestrion, diese Gäste – oh, dieses ganze trübselige Milieu hat sich meiner Seele vielleicht fürs ganze Leben eingeprägt! Ich schildere auch die Gedanken nicht, die in meinem Kopf aufwirbelten wie eine Wolke trockener Herbstblätter, wenn sie ein Windstoß packt; es hatte wirklich damit Ähnlichkeit, und ich muß gestehen, ich hatte zeitweilig ein Gefühl, als ließe mich mein Denkvermögen im Stich.
    Aber was mich so quälte, daß ich geradezu einen physischen Schmerz empfand (selbstverständlich nur so nebenbei,neben der eigentlichen Hauptqual), das war eine zudringliche, giftige Empfindung, zudringlich wie eine giftige Herbstfliege, an die man zunächst nicht denkt, die aber um einen herumschwirrt, einen belästigt und auf einmal schmerzhaft sticht. Es war das nur eine Erinnerung, ein Erlebnis, das ich noch keinem Menschen auf der Welt erzählt habe. Hier will ich es aufschreiben, denn es ist ja doch notwendig, daß ich auch das irgendwo erzähle.

IV
     
    Als in Moskau bereits entschieden war, daß ich nach Petersburg reisen sollte, teilte mir Nikolai Semjonowitsch mit, ich solle die Zusendung des Reisegeldes abwarten. Von wem das Geld kommen würde, danach fragte ich nicht erst; ich wußte, es würde von Wersilow kommen, und da ich damals Tag und Nacht mit starkem Herzklopfen und mit stolzen Plänen von meiner bevorstehenden Begegnung mit Wersilow träumte, so sprach ich überhaupt nicht mehr laut von ihm, nicht einmal mit Marja Iwanowna. Ich erwähne übrigens, daß ich auch eigenes Geld besaß, das für die Reise ausgereicht hätte, aber ich entschloß mich dennoch zu warten; unter anderem glaubte ich, das Geld würde mit der Post kommen.
    Eines Tages teilte mir Nikolai Semjonowitsch, als er nach Hause kam, mit (nach seiner Gewohnheit in aller Kürze und ohne große Erklärungen), ich solle am folgenden Tag um elf Uhr vormittags nach der Mjasnizkaja-Straße, in die Wohnung des Fürsten W...skij, gehen; dort sei der aus Petersburg eingetroffene Kammerjunker Wersilow, der Sohn Andrej Petrowitschs, bei seinem früheren Schulkameraden, dem Fürsten W...skij, abgestiegen, und der werde mir das übersandte Reisegeld einhändigen. Die Sache ließ sich anscheinend sehr leicht erklären: es war durchaus verständlich, daß Andrej Petrowitsch seinem Sohn diesen Auftrag gegeben hatte, statt das Geld durch die Post zu senden, aber mich erschreckte und bedrückte diese Nachricht ganz außerordentlich. Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß Wersilow mich auf diese Weise mit seinem Sohn, meinem Bruder, zusammenführen wollte; die Absichtenund Empfindungen des Mannes, mit dem ich mich in meinen Träumereien so viel beschäftigte, traten deutlich zutage; aber nun entstand für mich eine Frage von gewaltiger Wichtigkeit: wie werde ich mich und wie muß ich mich bei dieser ganz unerwarteten Begegnung benehmen, und wird nicht meiner eigenen Würde dabei irgendwie Abbruch getan?
    Am nächsten Tag, pünktlich um elf Uhr, erschien ich in der Wohnung des Fürsten W...skij, einer Junggesellenwohnung, die aber, wie ich merkte, luxuriös ausgestattet war; auch Diener in Livree waren da. Ich blieb im Vorzimmer. Aus den inneren Zimmern drangen die Töne eines lauten Gesprächs und eines starken Gelächters heraus: außer dem Kammerjunker, der dort logierte, waren noch andere Herren beim Fürsten zu Besuch. Ich befahl einem Diener, mich zu melden, und zwar, wie ich glaube, in etwas stolzen Ausdrücken: wenigstens sah er mich, als er hinging, um mich zu melden, in einer eigentümlichen Weise an, ja sogar nach meiner Empfindung nicht so respektvoll, wie es sich gehört hätte. Zu meiner Verwunderung brauchte er zu der Meldung sehr viel Zeit, etwa fünf Minuten; unterdessen aber vernahm ich von dorther immer noch dasselbe Lachen und dieselben Bruchstücke eines Gesprächs.
    Ich wartete selbstverständlich stehend, da ich sehr wohl wußte, daß es für mich als »richtigen Herrn« unpassend und unmöglich war, mich in einem Vorzimmer, in dem sich Diener befanden, hinzusetzen. Von selbst aber, auf eigene Faust, ohne besondere Aufforderung, wollte ich um keinen Preis in den Saal hineingehen, aus Stolz; vielleicht aus einem allzu feinen Gefühl des Stolzes, aber es gehörte sich so. Zu meiner Verwunderung erdreisteten sich die zurückgebliebenen Lakaien (zwei an der Zahl), sich in meiner Gegenwart hinzusetzen. Ich wandte mich ab, um

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