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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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mit!«
    Natürlich log und schwindelte er, aus Angst, ich könnte ihm davonlaufen; aber ich ließ ihn plötzlich mitten auf der Straße stehen, und als er mir folgen wollte, drehte ich mich um und drohte ihm mit der Faust. Aber er stand schon wieder, mit seinen Gedanken beschäftigt, still und ließ mich fortgehen; vielleicht blitzte in seinem Kopf bereits ein neuer Plan auf. Aber für mich rissen die Überraschungen und Begegnungen nicht ab... Und wenn ich an diesen ganzen Unglückstag zurückdenke, so scheint es mir immer, als hätten sich alle diese Überraschungen und Zufälligkeiten damals gleichsam verschworen gehabt und sich aus einem unglückbringenden Füllhorn mit einemmal auf mein Haupt ergossen. Kaum hatte ich die Wohnungstür geöffnet, als ich noch im Vorzimmer mit einem jungen Mann zusammenstieß:hochgewachsen, mit länglichem, blassem Gesicht, vornehmem, geschmackvollem Äußeren, in einem prachtvollen Pelz. Er trug einen Kneifer, nahm ihn aber, als er mich erblickte, sogleich ab (offenbar aus Höflichkeit), hob artig seinen Zylinder, sagte zu mir mit freundlichem Lächeln, aber ohne stehenzubleiben: »Ha, bonsoir«, und ging an mir vorbei auf die Treppe. Wir hatten einander sofort erkannt, obgleich ich ihn in meinem Leben nur einmal flüchtig in Moskau gesehen hatte. Es war Anna Andrejewnas Bruder, der Kammerjunker, der junge Wersilow, der Sohn Wersilows und somit beinahe auch mein Bruder. Er wurde von der Wirtin hinausbegleitet (der Wirt aber war noch nicht vom Dienst nach Hause gekommen). Sobald er hinaus war, stürzte ich nur so auf sie zu:
    »Was hat er hier zu suchen! Ist er in meinem Zimmer gewesen?«
    »In Ihr Zimmer hat er keinen Schritt getan. Er war zu mir gekommen...«, erwiderte sie schnell und in trockenem Ton und wandte sich ab, um in ihr Zimmer zu gehen.
    »Nein, so geht das nicht!« rief ich. »Bitte antworten Sie mir: warum ist er hergekommen?«
    »Ach, mein Gott! Ich brauche Ihnen doch nicht immer zu erzählen, warum die Leute zu mir kommen. Ich möchte meinen, wir dürfen doch auch unsere eigenen Geschäfte haben. Er ist ein junger Mensch; vielleicht wollte er Geld borgen und hat sich bei mir nach einer Adresse erkundigt. Vielleicht hatte ich es ihm schon das vorige Mal versprochen...«
    »Wann war das, das vorige Mal?«
    »Ach, mein Gott! Es ist ja doch nicht das erstemal, daß er herkommt!«
    Sie ging weg. Mir fiel vor allem auf, daß sich hier der Ton geändert hatte: sie fingen an, grob mit mir zu reden. Es war klar, daß da auch wieder ein Geheimnis dahintersteckte: die Geheimnisse häuften sich bei jedem Schritt, mit jeder Stunde. Das erstemal war der junge Wersilow mit Anna Andrejewna, seiner Schwester, hergekommen, während ich krank lag: daran erinnerte ich mich ganz genau, ebenso auch daran, daß Anna Andrejewna schon gestern absichtlich die verwunderliche Bemerkung hatte fallenlassen,der alte Fürst werde vielleicht in meiner Wohnung Quartier nehmen... Aber all das war so wirr und ungeheuerlich, daß ich mir fast gar nichts dabei denken konnte. Ich schlug mich vor die Stirn, setzte mich nicht einmal einen Augenblick hin, um mich auszuruhen, und lief zu Anna Andrejewna: sie war nicht zu Hause, und von dem Portier erhielt ich die Antwort, sie sei nach Zarskoje Selo gefahren und werde erst morgen etwa um diese Zeit zurück sein.
    Sie war nach Zarskoje Selo gefahren, selbstverständlich zum alten Fürsten, und ihr Bruder besichtigte meine Wohnung! ›Nein, daraus wird nichts!‹ sagte ich zähneknirschend zu mir, ›und wenn dort wirklich eine Mordschlinge bereitgelegt wird, so werde ich die arme Frau beschützen!‹
    Von Anna Andrejewna kehrte ich nicht nach Hause zurück, weil in meinem heißen Kopf auf einmal die Erinnerung an die Kneipe am Kanal aufblitzte, die Andrej Petrowitsch manchmal zu besuchen pflegte, wenn er in düsterer Stimmung war. Erfreut über diesen Einfall lief ich sofort dorthin; es war schon bald vier Uhr und fing an dunkel zu werden. In der Kneipe sagte man mir, er sei dagewesen, habe ein Weilchen gesessen und sei dann wieder fortgegangen, aber vielleicht werde er noch einmal wiederkommen. Ich nahm mir plötzlich mit aller Bestimmtheit vor, ihn zu erwarten, und ließ mir ein Mittagessen geben; wenigstens war da ein Hoffnungsschimmer.
    Ich verzehrte meine Mahlzeit und aß sogar noch mehr, um nur ein Recht zu möglichst langem Aufenthalt zu haben; so saß ich, wie ich glaube, etwa vier Stunden lang. Ich will hier nicht meine traurige Stimmung und meine

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