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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wozu eigentlich; nun, nehmen wir an, zur Beruhigung meiner Mutter), und da es Ihnen überdies ein solcher Genuß ist, mit mir zu reden, trotz allem, was unten vorgefallen ist, so erzählen Sie mir doch lieberetwas von meinem Vater – von diesem Makar Iwanow, dem Pilger. Gerade aus Ihrem Mund würde ich gern etwas über ihn hören; ich hatte schon längst vor, Sie danach zu fragen. Und da wir uns nun voneinander trennen, und vielleicht für lange Zeit, so würde ich gern von Ihnen auch noch auf eine andere Frage eine Antwort erhalten: haben Sie denn während dieser ganzen zwanzig Jahre nicht so weit auf die beschränkte Anschauungsweise meiner Mutter, und jetzt auch meiner Schwester, einwirken können, um durch Ihren zivilisierenden Einfluß das geistige Dunkel zu verscheuchen, in welchem sie infolge ihrer früheren Umgebung befangen war? Oh, ich rede nicht von ihrer Reinheit! Sie hat ohnehin in moralischer Hinsicht immer unendlich weit über Ihnen gestanden – entschuldigen Sie! –, aber ... sie ist doch nur eine unendlich hochstehende Leiche. Leben, wirklich leben tut nur, Wersilow, und alles übrige, was ihn umgibt und mit ihm verbunden ist, vegetiert nur unter der strikten Bedingung, daß es die Ehre hat, ihn mit seinen Kräften und Lebenssäften zu ernähren. Aber früher einmal muß doch auch sie lebendig gewesen sein? Sie haben doch irgend etwas an ihr liebgewonnen? Sie ist doch auch einmal ein Weib gewesen?«
    »Mein Freund, genau besehen, ist sie das niemals gewesen«, antwortete er mir, indem er sofort in seine ursprüngliche damalige Manier, mit mir zu verkehren, hineingeriet, in diese Manier, die ich noch so gut im Gedächtnis habe und die mich damals in Wut versetzte; nämlich anscheinend war er die Aufrichtigkeit und Gutherzigkeit selbst, sah man aber näher hin, so war alles an ihm der vollendetste Spott, so daß ich manchmal aus seinem Gesicht gar nicht klug werden konnte. »Sie ist niemals ein Weib gewesen! Die Russin ist niemals ein Weib.«
    »Aber die Polin, die Französin, die sind es? Oder die Italienerin, die leidenschaftliche Italienerin, das ist etwas, was einen zivilisierten Russen der höheren Stände, einen Mann wie Wersilow, zu fesseln vermag?«
    »Na, konnte ich etwa erwarten, hier auf einen Slawophilen zu stoßen?« rief Wersilow lachend.
    Ich habe das, was er sagte, Wort für Wort im Gedächtnis: er redete sogar mit großem Genuß und sichtlichem Vergnügen.Es war mir völlig klar, daß er weder um nur zu plaudern noch um meine Mutter zu beruhigen zu mir gekommen war, sondern daß er dabei sicherlich andere Zwecke verfolgte.

II
     
    »Wir beide, deine Mutter und ich, haben diese ganzen zwanzig Jahre vollständig schweigend verlebt«, begann er sein Geplauder (es kam im höchsten Grade gekünstelt und unnatürlich heraus), »und alles, was bei uns geschah, ging schweigend vor sich. Der hauptsächlichste Charakterzug unseres ganzen zwanzigjährigen Zusammenlebens war die Schweigsamkeit. Ich glaube, wir haben uns sogar nicht ein einziges Mal miteinander gestritten. Allerdings bin ich oft fortgereist und habe sie allein gelassen, aber schließlich bin ich doch immer wieder zu ihr zurückgekehrt. Nous revenons toujours, das ist eben eine fundamentale Eigenschaft der Männer, die aus ihrer Großmut entspringt. Wenn das eheliche Verhältnis nur von den Frauen abhinge, würde keine einzige Ehe Bestand haben. Demut, Nachgiebigkeit, Unterwürfigkeit und gleichzeitig Festigkeit, Kraft, richtige Kraft – das ist der Charakter deiner Mutter. Du sollst wissen, sie ist die beste von allen Frauen, die ich auf der Welt kennengelernt habe. Und daß sie Kraft besitzt – das kann ich bezeugen: ich habe gesehen, wie diese Kraft sie aufrecht erhielt. Handelt es sich, ich will nicht sagen um Überzeugungen, denn von eigentlichen Überzeugungen kann da keine Rede sein, sondern um das, was diese Leute für ihre Überzeugung halten und was ihnen folglich heilig ist, dann lassen sie sich geradezu auf die Folter spannen. Na, und das kannst du dir wohl selbst sagen: habe ich Ähnlichkeit mit einem Folterknecht? Das ist der Grund, weshalb ich es vorgezogen habe, zu allem zu schweigen; ich habe es nicht bloß deswegen getan, weil es bequemer ist, und ich muß gestehen, ich bereue es nicht. Auf diese Weise machte sich alles ganz von selbst, mit Wohlwollen und Humanität, so daß ich mir nicht einmal ein Verdienst zuschreibe. Ich bemerke beiläufig, in Klammern, daß ich Grund zu der Vermutung habe, daß sie an

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