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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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von Mensch ...«
    »Sagen Sie, war denn die Sünde damals schon geschehen? Sie sagten soeben, Sie hätten den Mann noch vor Begehung der Sünde rufen lassen?«
    »Das heißt, siehst du, das ist so zu verstehen ...«
    »Also sie war begangen. Sie sagten soeben, Sie hätten sich in ihm geirrt; er sei eine ganz andere Art von Mensch gewesen; was denn für eine?«
    »Ja, was er eigentlich für ein Mensch war, das weiß ich bis heute noch nicht. Aber eine andere Art von Mensch war er und, weißt du, sogar ein sehr anständiger Mensch; ich schließe das daraus, daß ich mich zuletzt dreimal so sehr vor ihm schämte als anfangs. Gleich am nächsten Tag erklärte er sich ohne viele Worte bereit, wegzuziehen; selbstverständlich vergaß er dabei keine der ihm angebotenen Entschädigungen.«
    »Er hat das Geld angenommen?«
    »Und wie! Weißt du, mein Freund, er hat mich in diesem Punkt sogar in Erstaunen versetzt. Dreitausend Rubel hatte ich damals selbstverständlich nicht in der Tasche, aber ich brachte siebenhundert zusammen und händigte sie ihm als erste Rate ein, und was tat er? Er verlangte von mir über die übrigen zweitausenddreihundert Rubel einen Schuldschein, zur Sicherheit mit der Bürgschaft eines Kaufmanns. Dann nach zwei Jahren trieb er auf Grund dieses Schuldscheins das Geld von mir auf gerichtlichem Wege ein, mitsamt den Zinsen, so daß er mich wieder in Erstaunen versetzte, um so mehr, als er beim Umherziehen milde Gaben zum Bau einer Kirche sammelte, wie er denn seitdem nun schon zwanzig Jahre umherwandert. Ich begreife nicht, wozu ein Pilger soviel eigenes Geld nötig hat ... Geld ist doch eine so weltliche Sache ... Ich hatte es ihm in jenem Augenblick allerdings aufrichtig und sozusagen in der ersten Hitze angeboten, aber dann, im Verlauf so langer Zeit, hatte ich mir die Sache natürlich überlegt ... und rechnete darauf, daß er wenigstens Nachsicht mit mir haben würde ... oder sozusagen mit uns , mit mir und ihr, daß er sich wenigstens gedulden würde. Aber er geduldete sich nicht einmal ...«
    (Ich füge hier eine notwendige Zwischenbemerkung ein: wäre der Fall eingetreten, daß meine Mutter Herrn Wersilow überlebt hätte, so wäre sie buchstäblich ohne einen Groschen für ihre alten Tage zurückgeblieben, wenn sie nicht diese dreitausend Rubel von Makar Iwanowitsch gehabt hätte, die sich durch die Zinsen längst verdoppelt hatten und die er ihr völlig unangerührt bis auf den letzten Rubel im vorigen Jahr testamentarisch hinterlassen hat. Er hatte Wersilow schon damals richtig beurteilt.)
    »Sie sagten einmal, Makar Iwanowitsch sei mehrmals zu Ihnen zu Besuch gekommen und immer in Mamas Wohnung eingekehrt?«
    »Ja, mein Freund, und ich muß gestehen, daß ich anfangs vor diesen Besuchen große Angst hatte. In dieser ganzen Zeit von zwanzig Jahren ist er im ganzen sechs- oder siebenmal gekommen, und die ersten Male habe ich, wenn ich zu Hause war, mich versteckt gehalten. Ich begriff anfangs nicht einmal, was das zu bedeuten hatte und warum er sich zeigte. Aber nachdem ich dann ordentlich nachgedacht hatte, schien es mir, daß das von seiner Seite gar nicht so dumm war. Und bei einer späteren Gelegenheit überkam mich eine gewisse Neugier, und ich ging ihn mir ansehen, und ich versichere dir, ich gewann von ihm einen höchst eigenartigen Eindruck. Das war, als er schon zum dritten- oder viertenmal kam, gerade zu der Zeit, wo ich Friedensrichter geworden war und mich natürlich mit dem größten Eifer daranmachte, Rußland zu studieren. Ich hörte von ihm sogar außerordentlich viel Neues. Außerdem fand ich bei ihm gerade etwas, was ich in keiner Weise zu finden erwartet hatte: Herzensgüte, Gleichmut und, was das Erstaunlichste war, beinahe eine gewisse Heiterkeit. Er erlaubte sich nicht die geringste Anspielung darauf (tu comprends) und besaß im höchsten Grade die Fähigkeit, über geschäftliche Dinge zu sprechen und gut zu sprechen, das heißt ohne den bei solchen Leuten häufigen bäuerischen Tiefsinn, den ich, wie ich dir bekennen muß, trotz all meiner demokratischen Gesinnung nicht leiden kann, und ohne all diese forcierten Russizismen, mit denen bei uns in Romanen und auf der Bühne die ›echten Russen‹ zu sprechen pflegen. Dabeiredete er sehr wenig von Religion, wenn man nicht selbst das Gespräch darauf brachte, und er erzählte sogar, wenn man selbst ein Interesse dafür bekundete, Geschichten über die Klöster und das Klosterleben, die in ihrer Art allerliebst waren. Die

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